Rebecca Schneider-Wyler: «In einer Freundschaft wird man gehört.» Foto: Pia Neuenschwander
Verzeihen ist nicht immer gut
Psychotherapeutin Rebecca Schneider-Wyler zum Thema Freundschaft
Ostern kann als grosser Ausdruck von Freundschaft gedeutet werden – was macht Freundschaft heute aus? Rebecca Schneider-Wyler, Psychotherapeutin bei der Fachstelle Ehe, Partnerschaft, Familie, im Interview.
Interview: Anouk Hiedl
Was schätzen Sie an Ihren Freund:innen?
Rebecca Schneider-Wyler: Ich schätze an meinen Freundschaften, dass ich mich geborgen und unterstützt fühle. Der Kontakt mit ihnen fühlt sich erfrischend an und gibt mir Energie. Zusammen können wir lachen und einander aufbauen. Worte sind dafür nicht immer nötig. Gemeinsam die Welt betrachten, einen Weg zurücklegen oder eine treffende Nachricht erhalten, wirkt genauso stark.
Was ist Freundschaft? Wie weit geht sie? Was erträgt sie?
Dies ist eine sehr komplexe Frage: Ich beschreibe Freundschaft als eine tragende Verbindung zweier Menschen. Im besten Fall stärkt sie beide Seiten, und es besteht eine Balance zwischen Geben und Nehmen. Dabei ist emotionale Unterstützung genauso wichtig wie tatkräftige Hilfe. In einer Freundschaft sollte es möglich sein, um Hilfe zu bitten und gehört zu werden. Dabei ist es auch wichtig, Grenzen setzen zu können. Klare Grenzen verlängern das Haltbarkeitsdatum einer Freundschaft. Je nach Lebensabschnitt müssen Grenzen auch neu verhandelt werden. Dabei ist es wichtig, dass dies transparent gemacht wird, sonst fühlt sich eine Seite bald mal hinters Licht geführt. Eifersucht und Neid können eine Freundschaft sehr belasten. Es hilft, negative Gefühle wie diese offenzulegen, statt sie zu ignorieren, unterschwellig wirken sie nämlich weiter. Dazu kann man gemeinsame Treffen reduzieren und vielleicht später wieder intensivieren, wenn beide weitere Lehren aus dem Leben gezogen haben.
Sie beraten Menschen «in jeder Beziehung». Wann wird aus Freundschaft Liebe oder umgekehrt?
Aus Freundschaft wird Liebe, wenn man die andere Person in ihrer Abwesenheit stark vermisst, man fast alle Beobachtungen des Tages mit ihr teilen möchte, man sich am Abend schon auf die erste Nachricht von ihr am nächsten Tag freut. Ist die gegenseitige körperliche Anziehung auch gegeben, kann eine Beziehung entstehen. Gerade in langjährigen Beziehungen ist es sehr förderlich, auch eine gute Freundschaft zueinander zu pflegen. Dies ist nicht immer so. Ein Paar kann eine Beziehung führen und Freundschaften ausserhalb intensiv pflegen. Paare, die sich nur auf sich selbst fokussieren und keine weiteren Freundschaften führen, bauen mitunter viel Druck auf die eigene Beziehung auf.
Ist Freundschaft ein Thema bei Ihren Beratungen?
Gerade bei frischgebackenen Eltern sind Freundschaften sehr wichtig, jedoch schwieriger zu pflegen, weil man sich ganz neu orientieren und strukturieren muss. Hier kann emotionale oder tatkräftige Unterstützung ausserhalb der Paarbeziehung helfen. Schwierig wird es, wenn im Freundeskreis auch viele Eltern geworden sind. In diesem Fall werden Selbstfürsorge und «Self-Parenting» sehr wichtig, das heisst, dass man sich immer wieder Zeit für sich und die eigenen Bedürfnisse nimmt und den Alltag aktiv danach gestaltet. Im Verlaufe des Lebens bleiben Freundschaften ausserhalb der Beziehung wichtig, weil sie eine Aussensicht bieten, Möglichkeiten aufzeigen, wie das Leben auch anders verlaufen kann. Im besten Fall kann man in langjährigen Freundschaften mit grosser Dankbarkeit auf gemeinsam verbrachte Zeiten zurückblicken und sich über die Anwesenheit des oder der anderen erfreuen.
Petrus hat seinen besten Freund verleugnet, Judas hat ihn verraten, und Jesus hat beiden verziehen. Was braucht es, um zu verzeihen? Ist Verzeihen immer gut?
Nein, verzeihen ist nicht immer gut. Wenn es zu Grenzüberschreitungen, zu verbalen Abwertungen oder einem ständigen Hinterfragen der eigenen Sichtweise kommt, ist es wichtig, auf Distanz zu gehen. In einem freundschaftlichen Miteinander geht man ruhig miteinander um, respektiert die Sichtweise und Haltung des Gegenübers, und beide Seiten bekommen die Freiheit, sich zu entfalten.