Ohne Scham, aber nicht befreit. Kirche und Sexualität bleibt ein schwieriges Terrain. Foto: Keystone
Vieldeutig und sperrig und auch schön
«Amoris Laetitia» – das Lehrschreiben des Papstes
Drei Jahre lang haben Bischöfe und Kardinäle, Priester und Personen des geweihten Lebens um eine Reform der katholischen Kirche zum Thema Ehe, Familie und Sexualität gerungen. Am 8. April setzte nun der Papst einen Schlusspunkt mit seinem Lehrschreiben «Amoris leatitia, über die Liebe in der Familie».
«Die Freude der Liebe», so die deutsche Übersetzung, ist ein lehramtlicher, 300 Seiten langer Text, der vordergründig wenig konkret ist. Die beiden umstrittensten Themenbereiche sind und waren: Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion und eine irgendwie geartete Respektskultur mit Homosexuellen in der Kirche. Papst Franziskus ändert an der bisherigen Haltung nichts. Zum Thema Homosexualität wiederholt er das, was der Katechismus zum Thema zu sagen hat, wiederverheiratete Geschiedene werden nicht mit offenen Armen zu den Sakramenten zugelassen, bleiben davon aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen.
Der Papst und sein Dilemma
Am Anfang des «Reformprozesses» stand ein globaler Fragebogen zur Lebenswirklichkeit der Menschen. Das Ende dieses Prozesses war eine mehrwöchige Versammlung der kirchlichen Entscheidungsträger in Romim Oktober 2015. in «Amoris Leatitia» fasst der Papst nun das zusammen, was aus dieser ganzen Debatte der vergangenen Jahre folgen soll. Er tut das zunächst in einer Art Predigt. Sämtliche Bibelstellen zum Thema werden aufgeführt und kommentiert. Das ist alles etwas länglich, manchmal inspirierend. Die Sprache ist verständlich und dennoch für einen theologischen Laien sperrig.
Schon bald wird der Leserin, dem Leser bewusst, hier steckt jemand in einem Dilemma. Dieser Papst betont das katholische ideal der unauflöslichen Ehe zwischen Mann und Frau. Er will dieses ideal bewahren. Er will aber gleichzeitig den Seelsorgenden ins Gewissen schreiben, es doch bitte zu unterlassen, alle jene zu diskriminieren, die diesem ideal nicht entsprechen. Er tut das liebevoll, seine Sprache hat selber nichts verurteilendes, er schreibt voller Respekt. Aber es ist alles vieldeutig und ein Sowohl-als-Auch.
Franziskus will irgendwie nichts verurteilen, aber um Gottes Willen auch nichts reformieren. Er schreibt: «Wenn man die zahllosen Unterschiede der konkreten Situationen berücksichtigt, kann man verstehen, dass man von der Synode oder von diesemSchreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte.»
Die Seelsorger sollen also die Menschen als Einzelfälle behandeln, individuell beurteilen, die persönlichen Umstände berücksichtigen, den Menschen ins Gewissen reden oder ihnen eher mit Nachsicht begegnen. Franziskus schreibt: «Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums!» Weiter meint er: «Ich glaube ehrlich, dass Jesus Christus eine Kirche möchte, die achtsam ist gegenüber dem Guten, das der Heilige Geist inmitten der Schwachheit und Hinfälligkeit verbreitet.» Dieses Gute verweigert er den Homosexuellen komplett. Franziskus erkennt nicht, dass auch hier Menschen füreinander einstehen.
Der Papst und seine Tipps
Alles zu möglichen Reformen steht im Text im achten von neun Kapiteln. Der Rest ist Predigt und Meditation. Es gibt sehr schöne persönliche Passagen, es gibt Passagen über mögliche Familienprobleme, von denen man tatsächlich auch ohne apostolische Dokumente schon gehört hat. Plus: Der Papst gibt gerne Tipps – für ein gutes Ehelben oder die Kindererziehung. Sehr schön sind die Passagen über die Langmut. Die Beziehung müsse heute stets himmlisch sein und der Partner vollkommen. Die Realität sehe aber anders aus.
Wenn wir nicht die Langmut pflegen würden, «werden wir immer Ausreden haben für Antworten aus dem Zorn heraus, und schliesslich werden wir uns in Menschen verwandeln, die nicht verstehen zusammenzuleben, die unsozial sind und unfähig, die eigenen instinkte zurückzudrängen, und die Familie wird zu einem Schlachtfeld.» Der das schreibt, ist Papst.
Der Papst und die Lösungen
Der Papst konstatiert aktuell all überall grosse Herausforderungen für Familien und Ehen. Die Kirche sei daran nicht unschuldig. Das Pochen auf der reinen Lehre wirke auf manche Menschen offenbar nicht motivierend, sondern eher frustrierend. Die Kirche müsse sich einer «heilsamen Selbstkritik» unterziehen. Es gehe zwingend darum fröhlicher, positiver, selbstbewusster über die Liebe und ihre Familienlehre zu sprechen, nicht mehr nur verdruckt und verschämt. Das alles scheint dem Papst im vorgelegten Text zu gelingen. Er verändert an der reinen Lehre nichts, erweitert aber in einigen Weltgegenden den Spielraum für Seelsorgende wohl enorm. Ohne Scham lesen wir bei Franziskus über eine jungen Liebe, die es immer weiter zu pflegen gelte: «Der Tanz in dieser jungen Liebe, Schritt für Schritt voran, der Tanz auf die Hoffnung zu, die Augen voller Staunen – er darf nicht zum Stillstand kommen.»
Andreas Krummenacher
Zum Dossier zu «Amoris Laetita»