Bischof Joseph Bonnemain verspricht den Forschenden ungehinderten Zugang zu den Akten und völlige Unabhängigkeit. Foto: Raphael Rauch

Viele Taten wurden vertuscht und die Opfer ignoriert

05.04.2022

Start der Schweizer Studie zu sexuellem Missbrauch

Ein Pilotprojekt der Universität Zürich untersucht die sexuellen Übergriffe im Umfeld der katholischen Kirche Schweiz. Die Historikerin Marietta Meier kündigte an, nach Ende des Pilotprojekts werde «klar aufgedeckt, wer nicht kooperiert hat».

von Raphael Rauch, kath.ch

Anders als in Deutschland oder in Frankreich gibt es in der Schweiz bislang keine nationale Studie über sexuelle Übergriffe im kirchlichen Kontext. Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Katholischen Ordensgemeinschaften der Schweiz (KOVOS) und die Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) haben im Herbst einen Vertrag mit der Universität Zürich unterschrieben. Es geht um ein einjähriges Pilotprojekt, das am Montag in Lausanne vorgestellt wurde.

Im Mai beginnt die Quellenarbeit

Das Projekt hat zwei Hauptziele, wie die Historikerinnen Monika Dommann und Marietta Meier ausführten: «Erstens soll geklärt werden, welche Quellen existieren und zugänglich gemacht werden. Zweitens sollen mögliche Fragestellungen und Methoden für nachfolgende Forschungsprojekte vorgeschlagen werden.» 

Das Forschungsteam werde im Mai «in die Quellenarbeit einsteigen». Die Historikerinnen sprachen von einer «Kultur des Schweigens, Wegschauens und Vertuschens» der katholischen Kirche, die es nun aufzuarbeiten gelte.

Geheimarchive in den Blick nehmen

Ein Schwerpunkt solle in der Pilotphase auf den Geheimarchiven und den Archiven der diözesanen Fachgremien liegen. Hier würden Anklagen und Strafakten von Priestern aufbewahrt. 

Bei den Orden werde zunächst ein Schwerpunkt auf Institutionen gelegt, die mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet haben. Auch sollten punktuell einzelne Missbrauchsfälle verfolgt werden, um zu prüfen, wo sich weitere Quellen befinden. Auch würden Gespräche mit Bischöfen, Opferorganisationen, Betroffenen und weitere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geführt.

Dreisprachiges Forschungsteam

Das Forschungsteam besteht aus vier Personen, die die drei Schweizer Sprachregionen abdecken werden: Vanessa Bignasca in Comano (Tessin), Lucas Federer (Zürich), Magda Kaspar (Bern) und Lorraine Odier (Lausanne).

Bischof Joseph Bonnemain ist bei der Schweizer Bischofskonferenz für das Missbrauchsdossier zuständig. Er kündigte an, die Forschenden würden ungehinderten Zugang zu den Akten in den Archiven und Geheimarchiven der Bistümer erhalten. Die Unabhängigkeit des Pilotprojekts sei gewährleistet.

Renata Asal-Steger nimmt Körperschaften in die Pflicht

Bonnemain sagte, viele Taten seien vertuscht und die Opfer ignoriert worden. Die Kirche müsse noch stärker zu einer lernenden Organisation werden, «die bereit ist, eigene Fehler einzugestehen und Strukturen zu verändern, die Verbrechen und deren Vertuschung ermöglicht oder begünstigt haben».

RKZ-Präsidentin Renata Asal-Steger sieht auch die Körperschaften in der Verantwortung. So gelte es zu klären, ob die staatskirchenrechtlichen Behörden als Aufsichtspflicht präventiv gewirkt hätten oder ob es unterlassen wurde, «in Verdachtsfällen kritisch nachzufragen». Vielleicht sei «manchmal weggeschaut» und damit zur «Vertuschung von Missbrauchsfällen beigetragen worden».

«Irritiert, dass es sich vorerst nur um eine Pilotstudie handelt»

Vreni Peter von der Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld begrüsste die Pilotstudie: «Endlich ist es soweit!», sagte sie in Lausanne. Allerdings ist sie «irritiert, dass es sich vorerst nur um eine Pilotstudie handelt». Ihre Interessengemeinschaft erwarte, dass der Pilotstudie «unverzüglich eine umfassende Studie und Aufarbeitung folgen wird». Auch bei der Pilotstudie sollten bereits Betroffene angehört werden.

Renata Asal-Steger sagte, für sie sei klar, dass es nach dem Pilotprojekt mit einem grösseren Forschungsprojekt weitergehe. Die Historikerin Marietta Meier kündigte an, nach Ende des Pilotprojekts werde auch «klar aufgedeckt, wer nicht kooperiert hat».