Christian Geltinger, Leiter der Kommunikation der Katholischen Kirche Region Bern. Foto: zVg
«Eine neue Marketingstrategie?»
Kann künstliche Intelligenz einsamen und ratsuchenden Menschen helfen?
Nun gibt es Jesus als künstliche Intelligenz. Ein Berner Start-up-Unternehmen bietet einen Chatbot an, dank dem man mit Jesus chatten kann. Aber kann dies eine spirituelle Begegnung mit Gott und Menschen wirklich ersetzen? Christian Geltinger, Kommunikationsleiter der Katholischen Kirche Region Bern, ist überzeugt, dass man Gotteserfahrungen nicht per Knopfdruck abrufen kann.
von Wolfgang Holz
kath.ch: Herr Geltinger, ein Berner Start-up-Unternehmen bietet einen Chatbot an, bei dem man mit Jesus chatten kann. Was halten Sie davon?
Christian Geltinger: Grundsätzlich muss diese Frage jeder für sich selbst beantworten. Ich persönlich versuche meinen Draht zum Göttlichen über andere Kanäle zu halten: in der Stille, in der Begegnung mit anderen Menschen, im Gottesdienst. Mir bereitet eine Konkretisierung eher Schwierigkeiten, zum Beispiel ein väterlicher Gott mit Rauschebart oder Jesus im Hippie-Style, anderen hilft es. Es gibt so viele Zugänge zu Gott wie es Menschen gibt. Ich glaube, man sollte nur nicht generalisieren, sonst wird es exklusiv.
Ist Jesus als künstliche Intelligenz überhaupt denkbar – schliesslich ist er Gottes Sohn und nicht per Computer ersetzbar? Ausserdem ist er nur mit Daten von Menschen gefüttert.
Eine generelle Gefahr von Spiritualität liegt aus meiner Erfahrung darin, dass ich mir etwas vormache. Dass ich mit einer bestimmten Erwartungshaltung an eine Gottesbegegnung herangehe, zum Beispiel mit einer Bitte, und dass ich mich in meiner Beziehung zu Gott ein Stück weit selbst belüge, wenn ich denke, dass sein Plan so funktioniert, wie ich mir das vorstelle.
Vielen ist vielleicht dieses innere Verhandeln vertraut. Ich befürchte, dass diese Gefahr der Selbstmanipulation, aber auch der Fremdmanipulation bei einer KI deutlich grösser sein kann, weil mein Algorithmus bestimmt, was ich hören will.
Bei einer Gottesbegegnung erwartet man Trost, Zuspruch, emotionale Erfahrung, ein spirituelles Erlebnis. Kann so etwas eine künstliche Intelligenz überhaupt leisten, die allenfalls mit Bibelzitaten gefüttert ist?
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass bestimmte Texte punktuell in einer Notsituation helfen können. Der ganze Bereich der spirituellen Erbauungsliteratur basiert darauf. Kalendersprüche leisten etwas Ähnliches. Das hat aber meines Erachtens noch wenig mit einer lebendigen Beziehung zu Gott zu tun, weil die Beziehung zu Gott ohne Erwartungshaltung erfolgen sollte.
Wie meinen Sie das?
Ich lege etwas vor Gott hin und gebe es damit aus der Hand. Der Ausgang bleibt zunächst offen. Oft erschliesst sich mir der Plan erst im Nachhinein. Ich drücke also kein Knöpfchen, um ein Ergebnis zu erhalten. Und die Beziehung zu unseren Mitmenschen – wenn sie nicht manipulativ ist – ist ähnlich geartet. Wir lassen uns aufeinander ein. Wir erwarten nichts zurück, wenn wir jemandem helfen. Wir erwarten von Freunden auch harte Wahrheiten.
Kann man sich künstliche Intelligenz überhaupt als seelsorgerliche, geistliche Funktion vorstellen?
Vielleicht kann künstliche Intelligenz Menschen helfen, die einsam sind und Rat suchen. Allerdings stellt sich hier das eigentliche Problem des Glaubens: Vertraue ich dem, was die KI mir sagt, oder nehme ich es nicht ernst, weil ich weiss, dass es ja eh nur eine KI ist. Eine grundsätzliche Offenheit kann ich vielleicht mehr akzeptieren.
Besteht aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass künstliche Intelligenz menschliche Begegnungen ersetzen könnte?
Ich bin ein grosser Verfechter des analogen Erlebnisses. Ich habe 20 Jahre im Bereich Oper gearbeitet. Die Energie einer Aufführung, das kollektive Erlebnis, das Menschen in einem Raum erzeugen, ist durch nichts zu ersetzen. Ich muss den anderen spüren. Sicherlich haben wir durch Corona gelernt, per Videokonferenz zu kommunizieren, teilweise auch Feste zu feiern. Nähe stellt sich aber nach meiner Erfahrung nur da ein, wo wir uns mit vertrauten Menschen online austauschen.
Wenn Sie selbst Jesus analog begegnen könnten: Wie würden Sie sich dieses Meeting vorstellen?
Vermutlich würde ich ihn fragen, ob er es auch wirklich ist und was er sich denn da jetzt hat einfallen lassen. Eine neue Marketing-Strategie?