Reformstau, Ausschluss von Frauen, sexuelle Übergriffe, patriarchale Strukturen - Sandra Leis zählt Gründe auf, weshalb Katholik:innen ihre Kirche verlassen. Foto: Sylvia Stam
Vom «Dauerspagat» der Katholik:innen
Gehen oder bleiben? Lebhafte Diskussion im aki zum Kirchenaustritt
Gehen oder bleiben? Im kleinen Kreis entstand am Donnerstagabend im aki Bern eine lebhafte Diskussion über die Frage, was Katholik:innen in ihrer Kirche hält, oder eben nicht.
Von Sylvia Stam
Wie ist es um die katholische Kirche bestellt, wenn selbst Ordensfrauen sich ohnmächtig fühlen in Anbetracht des Umgangs der Weltkirche mit der Gleichberechtigung von Frauen? Diese Frage fiel schon früh in der Diskussion von Geneva Moser, Fachmitarbeiterin der Studierendenseelsorge aki, und Sandra Leis, Host des kath.ch- Podcasts «Laut und Leis». In einer ihrer letzten Podcast-Episoden hatte Irene Gassmann, Priorin des Klosters Fahr, von ihrer Enttäuschung über die Begegnung mit Kardinal Mario Grech berichtet.
Reformstau, Ausschluss von Frauen, der herablassende Umgang mit queeren Personen, sexuelle Übergriffe, hierarchische, patriarchale Strukturen etc. Die Austrittsgründe, die Sandra Leis im Verlauf des Abends anführt, sind bekannt. Ebenso jene, weshalb Katholik:innen bleiben: Weil sie sich in dieser Kirche zuhause fühlen, weil ihnen die Rituale, die weltweit gleiche Liturgie, die Musik wichtig sind.
Lebendige Kirche vor Ort
Immer wieder werde das Lokale betont, sagt die Reformierte Leis, die sich vor allem auf die von ihr interviewten Personen beruft: Vor Ort, an der sogenannten Basis, kennt man sich, man ist gemeinsam an Projekten der Pfarrei engagiert. «Viele Katholik:innen leben in einem Dauerspagat», so ihr Fazit nach dem ersten Jahr ihres Podcasts. Da sei die lebendige Kirche vor Ort und der reformresistente Altherrenclub in Rom. Die Freude über die Teilnahme von 50 stimmberechtigten Frauen an der Bischofssynode in Rom werde gleich wieder getrübt, weil dies erst im Jahr 2023 möglich wurde. Auch das jüngste Papier zum Segen für homosexuelle Paare wecke nicht wirklich Freude, weil man bei genauer Betrachtung kaum einen Fortschritt feststellen könne.
Besonders stark sei dieser Spagat für Frauen in Leitungspositionen spürbar. «Es braucht ein gewisses Grad an Schizophrenie für diese Aufgabe», zitiert Leis eine ehemalige Gemeindeleiterin. Denn in dieser Funktion stütze man ein System, das Frauen diskriminiert.
Das engagierte Gespräch zwischen Geneva Moser und Sandra Leis wurde alsbald erweitert durch Stimmen aus dem Publikum. Rund ein Dutzend Personen hörten dem Gespräch zu, dank der vorangehenden GV des Aki-Freundeskreises war dieses alters- und geschlechtermässig erstaunlich gemischt.
Nicht auf den Papst getauft
So erzählte etwa Josef Durrer, ehemaliger Präsident des Kleinen Kirchenrats der Katholischen Kirche Region Bern, die Zeit vor dem Konzil sei sehr eng gewesen. «Das Konzil und die Synode 72 waren Aufbrüche. Das gebe ich so rasch nicht her», sagte der Senior, und erinnerte an die Kraft des Glaubens. «Ich bin nicht auf den Papst getauft, sondern auf Jesus Christus», sagte er und erntete zustimmende Lacher aus dem Publikum. Mehrere Zuhörer wiesen darauf hin, dass sie in ihrer Jugend Persönlichkeiten kennen gelernt hatten, die Vorbilder im Glauben waren.
«Was ist die ethische Konsequenz, wenn ich austrete?», fragte ein Zuhörer. Seit der Missbrauchsstudie werde auch für ihn die Mitgliedschaft problematisch. «Trage ich eine Mitschuld, wenn ich bleibe?» Durch einen Austritt könne er sich zwar dieser Spannung entziehen, «aber wie ethisch ist das, wenn ich mich dadurch auch der Verantwortung entziehe?»
Einen weiteren Grund, weshalb sie bleibt, nennt eine Walliserin (22), die in Freiburg katholische Theologie studiert, beim Apéro gegenüber dem «pfarrblatt»: «Es macht mich trotzig. Ich will diese Kirche trotz Missbrauch und struktureller Diskriminierung nicht diesem Altmännerverein überlassen! Ich durfte Kirche auch anders erleben.» Eine interessante Perspektive bringt auch ihre Kollegin, eine Soziologiestudentin (30) evangelischer Herkunft, ein: «Die katholische Kirche von ihrer Liturgie und von der Theologie her berührt mich, aber als Feministin kann man so einem Verein nicht beitreten.» Entsprechend bezeichnet sie sich als postkonfessionelle Christin.
Die Frage der Hoffnung
Zum Ende blieb die Frage nach der Hoffnung. «Wir haben unseren Glauben. Warum gelingt es uns nicht, diese Hoffnung zu vermitteln?», fragte eine Frau selbstkritisch und mit Verweis auf die überfüllten Jugendpsychiatrien. Der Anlass selber, trotz des kleinen Kreises, zeigte demgegenüber hoffnungsvoll auf, dass die Lebendigkeit der Kirche keine Frage der Grösse ist.