Von archaischer Urgewalt zu lieblicher Weite
Pia Neuenschwanders spiritueller Ort
Pia Neuenschwander braucht beides: Archaisches und Liebliches. Auf dem Weg zum Farnihubel ob Iseltwald findet sie enge Felsspalten und Weitblick auf See und Berge.
Aufgezeichnet von Sylvia Stam
Fotos: Stefan Maurer
In der Natur komme ich zur Ruhe und kann auftanken. Das Grün und die Luft beruhigen. Gleichzeitig brauche ich auch das Leben und das Chaos einer Grossstadt. Ich liebe London, New York, das Chaos von Manila. Ich würde auch gerne mal nach Kalkutta gehen. Wahrscheinlich würde ich dann nach kurzer Zeit die Ruhe der Natur suchen.
Natur – das kann Wald, Berge oder ein See sein. Ich will mich nicht festlegen. Wichtig sind mir Abgeschiedenheit und Weite. In der Höhe fühle ich mich wohler als in einem schmalen Tal, weil ich den Weitblick habe. Ich brauche Weite, auch sonst im Leben, in der Beziehung und im Alltag.
Ein sakraler Ort wäre für mich eher eine verschneite Winterlandschaft in der Höhe. Es hat mit dem zu tun, was ich sehe, das Auge ist ein wichtiger Teil. In einer Winterlandschaft ist alles weiss, man sieht Konturen, Weite, die Klarheit des Himmels oder gerade gar keine Klarheit. Das hat etwas Mystisches, hier nehme ich eine gewisse Ästhetik wahr, die mir gut tut. Nicht Schönheit an sich, sondern etwas Interessantes.
Wichtig sind mir Abgeschiedenheit und Weite.
Bei diesem Felsentor spürt man das Archaische: Das Schwere, Überhängende, Bedrohliche. Die Naturgewalt ist sehr prägnant. Davor habe ich Respekt. Ich liebe Dramatik in der Natur, wenn ihre Urgewalt sichtbar ist. Ich mag auch Wolken und Nebel lieber, als wenn die Sonne über blauem Himmel scheint.
«Sakraler Ort» ist für mich nicht der richtige Ausdruck. Ich spreche eher von Kraftort. Ich bin nicht sehr religiös. Mein persönlicher Zugang zu Spiritualität ist nicht auf eine festgelegte Religion bezogen. Massgebend ist für mich eine Grundzufriedenheit. Wenn ich diese erlange, gibt mir das Kraft für mich und andere. Der Weg dahin kann unterschiedlich sein: In der Meditation, das mache ich manchmal, beim kreativen Arbeiten oder eben in der Natur.
Sakraler Ort» ist für mich nicht der richtige Ausdruck. Ich spreche eher von Kraftort.
Bei meiner Arbeit für das «pfarrblatt» steht meist der Mensch im Zentrum. Sein religiöser Hintergrund ist unwichtig. Das gilt für alle Menschen, die ich porträtiere. Ich spreche nicht vom Menschen als «Ebenbild Gottes», das ist nicht meine Sprache, aber die Haltung dahinter, die Achtung gegenüber jedem Menschen, teile ich.
Und dann auf einmal dieses Liebliche: Ein Elfenwäldchen mit Birken, der weite Blick auf den See, auf die Halbinsel von Iseltwald und die Schneckeninsel. Man sieht den Harder und die Kette des Brienzer Rothorns. Dieser Weg führt durch Gegensätze, vom Archaischen zur lieblichen Weite. Das mag ich.
Bei vielen Landschaften denke ich: Ich würde sie lieber malen, ich kann das mit der Fotografie nicht abbilden. Leider kann ich nicht malen. Dieser Felsen etwa, er ist überwachsen mit Moos, und daraus wachsen Klee, Farn, Brennesseln und anderes Gewächs. Diese Vielfalt macht die Lebendigkeit aus.
Bei vielen Landschaften denke ich: Ich würde sie lieber malen, ich kann das mit der Fotografie nicht abbilden.
Im Sommer komme ich oft hierher. Mein Partner hat in der Nähe ein Alphüsli. Ich bin gerne hier, weil es weg ist von allem. Ein Plätzchen in der Natur, wo gar nichts ist. Ich habe hier noch nie jemanden getroffen.
Zum Farnihubel: Der Weg führt von Iseltwald (Schiffstation oder Dorfplatz) zuerst der Strasse Richtung Giessbach entlang. Nach etwa anderthalb Kilometern zweigt ein Wanderweg rechts in den Wald ab («Uferweg Giessbach»). Nach 200 m folgt eine weitere Abzweigung nach rechts. Der Weg führt nun durch felsige Schluchten in rund 20 Minuten zum Aussichtspunkt Farnihubel.
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