Der Priester und Schreiber Esra arbeitet am Codex Amiatinus, einer der ältesten erhaltenen Bibelhandschriften. Pergament, Anfang 8. Jh., Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz. Bild: Wikimedia

Glaubenssache: Von Buchreligionen und Heiligen Schriften

Die Bibel ist mehr als ein Text. In den sogenannten Buchreligionen − dem Judentum, dem Christentum und dem Islam − interessiert die jeweilige Heilige Schrift und der konkrete Umgang damit.


Angela Büchel Sladkovic

Die Entstehung des Christentums geht mit einer Medienrevolution einher. Neben der Schriftrolle als weithin verbreitete Buchform kam in der römischen Kaiserzeit der Codex auf. Dieser bestand aus beschriebenen Blättern aus Papyrus oder Pergament, die aufeinandergelegt, gebunden und zwischen zwei Holzplatten oder Karton gesteckt wurden. Christ:innen setzten voll auf diese neue Buchform. Das Eingebundene war durch die Buchdeckel geschützt und so leichter aufzubewahren. Vor allem aber war die Handhabung bequemer, konnte man doch einfach etwas nachschlagen.

In Eckhard Nordhofens Buch «Corpora» heisst es dazu: «Einen Kodex kann man an jeder Stelle aufschlagen. Wer bei einer Buchrolle eine bestimmte Passage aufrufen will, hat zu tun. Dauert es zu lange, kann er ‹durchdrehen›. Erst als der Text in Codices übertragen wurde, bei denen es möglich wurde, vor- und zurückzublättern, Zitate schnell aufzurufen und zu vergleichen, konnte sich ein anderer, wenn man so will, gelehrterer Umgang mit dem Text ergeben.»

Neues Lesen

Der Codex veränderte die Lesegewohnheiten. Im Gegensatz zur Rolle, die man mit beiden Händen halten musste, liess er eine Hand frei zum Blättern und Schreiben. Das Auswendiglernen bzw. das Zitieren aus dem Gedächtnis verlor an Gewicht. Obwohl ein Codex mehr Text fassen konnte als eine Schriftrolle, war es eher selten, dass die ganze christliche Bibel in einem Codex vereint war. Bis zum Buchdruck war die Bibel auch physisch eine kleine Bibliothek, die im Bücherschrank einer klösterlichen Schreibstube ihren Platz beanspruchte.

Auch das rabbinische Judentum benutzte die neue Buchform. In der Synagoge aber wird bis heute aus Schriftrollen vorgelesen. Zentral im Gottesdienst ist die Toralesung. Wöchentlich wird in einem Jahr die gesamte Tora, die fünf Bücher Mose (Pentateuch), gelesen. Und wenn an Simchat Tora wieder von vorne angefangen wird, ist dies ein Grund zur Freude und wird gefeiert.

Michel Bollag, Mitbegründer des Zürcher Lehrhauses (heute ZIID), spricht von einer Liebesbeziehung, wenn er das jüdische Verhältnis zur Tora beschreibt, und betont die Körperlichkeit: «Wenn Juden in die Nähe der Tora kommen, küssen sie sie, umarmen sie. Am Tora-Freudenfest oder wenn eine neue Torarolle feierlich eingeweiht wird, tanzen die Männer mit ihr durch die Synagoge.» Jüdische Menschen würden der Tora denselben Respekt entgegenbringen wie einem Menschen und Torarollen, wenn sie alt sind, begraben. Denn die Tora ist Gottes Weisung und bedeute Leben. Die Tora wird gelernt und verinnerlicht, um aus ihr zu handeln und die Welt zu gestalten.

Ästhetisches Hörerlebnis 

Wie (teilweise) auch im Christen- und Judentum werden im Islam die heiligen Texte gesungen. Die Rezitation ist eine äusserst wichtige religiöse Aufgabe, die gelernt werden will. Denn der Koran versteht sich als Rede Gottes, die durch Rezitation vernehmbar gemacht wird. Er ist also vor allem ein Hörerlebnis, das sich durch Poesie und sprachliche Schönheit auszeichnet. Da in mehreren Suren festgehalten wird, dass der Koran in Arabisch herabgesandt wurde, spielt die Koransprache eine besondere Rolle. Übersetzungen werden als «Verstehenshilfen» gesehen und sind in diesem Sinn zugelassen.

In den Anfängen des Christentums gab es noch keine eigene Heilige Schrift. Hier war das Christusereignis entscheidend. Nach und nach kursierten verschiedene Briefe, es entstanden die Evangelien – auch sie in Griechisch und nicht in der Sprache Jesu verfasst.
 

Wie die griech. Übersetzung der Tora (Septuaginta) die Entstehung der Bibel beeinflusste, lesen Sie auf www.glaubenssache-online.ch.