Das Herz sprechen lassen, jeder Beitrag sei wichtig, sagt Gianfranco Biribicchi. Foto: Pia Neuenschwander
Von den Menschen lernen
Erfahrungsaustausch nach Trennung oder Scheidung
Einmal pro Monat treffen sich getrennte, geschiedene oder in neuer Partnerschaft lebende Menschen in der Missione Cattolica di Lingua Italiana MCLI in Bern zum Erfahrungsaustausch. Geleitet wird die Gruppe «L’Anello Perduto – der verlorene Ring» von Diakon Gianfranco Biribicchi.
von Luca D’Alessandro
Vor gut zwei Jahren rief Papst Franziskus das «Jahr der Familie – Amoris Laetitia» aus. Der Pastoralrat der Missione Cattolica Italiana nahm dieses zum Anlass, verschiedene Angebote für Familien auszuarbeiten und anzubieten. «Im Sinne von Amoris Laetitia wollten wir dabei nicht das Kirchenrecht, sondern die Menschen ins Zentrum stellen», sagt Gianfranco Biribicchi.
Es sollten alle eine Stimme bekommen. Auch die Menschen, die von ihren Partner:innen getrennt oder geschieden leben oder in neuer Partnerschaft sind, «denn als Seelsorgerinnen und Seelsorger waren uns die Lebenssituationen betroffener Menschen zwar in der Theorie bekannt. Doch fehlte uns der direkte Bezug. Wir fühlten uns bedingt in der Lage, angemessen auf ihre Fragen und Anliegen zu reagieren. Das galt es zu ändern – durch zuhören.»
Sich um die Nächsten kümmern
Mit rund acht Personen bildete Gianfranco Biribicchi die Gruppe «L’Anello Perduto». Sie versteht sich als eine Plattform des Austausches und der Vertiefung. «Wir wollten uns den betroffenen Mitgliedern der Gemeinschaft nahe fühlen, mit ihnen gemeinsam einen Weg gehen sowie ihre Lebenserfahrungen teilen. Dies, ohne zu urteilen oder vorgefertigte Antworten zu geben. Der Weg sollte zu einem tieferen Verständnis des eigenen Erlebens führen, und die Lehre der Kirche sowie die Möglichkeit eines Wiederzugangs zu den Sakramenten aufzeigen.»
Die offenen Gespräche werden von den Teilnehmenden Anna* und Mario* geschätzt. «Schon nur die Auseinandersetzung in der Gruppe mit Themen wie ’dem Versprechen der ewigen Liebe und der damit verbundenen Erwartungen’ tut gut», so Anna. «Die Gespräche sind tiefgründig, sowohl spirituell als auch in Bezug auf unsere alltägliche Realität.»
Ähnlich sieht es Mario: «In der Gruppe wird nichts tabuisiert.» Der Umgang untereinander sei respektvoll. Man kümmere sich um sich selbst und die Nächsten, dies im Sinne des pastoralen Projekts der MCLI «Prendersi cura di …», zu Deutsch, «Sich kümmern um …»
Zuhören ist wichtig
Die Gruppe «L’Anello Perduto» hat nicht die Absicht, in sich geschlossen zu agieren, sondern mit der Gemeinschaft zu interagieren. So ist beispielsweise ein Austausch mit der Gruppe «Giovani Fidanzati» geplant, dem Ehevorbereitungskurs der MCLI. Mario: «Aus Erfahrung wissen wir, dass der gemeinsame Weg der Ehe schöne, aber auch schwierige Situationen bereithält, und es bedeutend ist, ein Gespür für die eigenen als auch für die Gefühle des Partners oder der Partnerin zu haben. Zuhören ist wichtig.»
Synodaler Weg als Vorbild
Zu Beginn hätten er und die Gruppe «L’Anello Perduto» nicht gewusst, wohin der Weg sie führen würde, sagt Gianfranco Biribicchi. «Wir wählten das synodale Prinzip: Jede und jeder konnte die eigenen Gedanken äussern, das Herz sprechen lassen.» Zunächst habe eine gewisse Zurückhaltung geherrscht, blickt Mario zurück. «Mit der Zeit wurde das Vertrauen grösser und der Austausch einfacher.»
Inzwischen kennen sich die Teilnehmer:innen der Gruppe. «Und neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind jederzeit willkommen», betont Gianfranco Biribicchi, «jeder Beitrag ist eine Bereicherung. Die Gespräche in der Gruppe haben mir als Seelsorger gezeigt, dass jede Situation anders ist. Als Kirche können wir von den Menschen vieles lernen.»
*Namen von der Redaktion geändert.
Infos: www.missione-berna.ch/l-anello-perduto