Dem Himmel nah! Pilgern ist weiterhin im Trend. Foto: elchmich / photocase.de
Von der Strafe zur Einkehr
Pilgern ist wieder schwer in Mode. Aber was bringt es eigentlich? Und wie sieht es in anderen Religionen aus...?
Pilgern ist en vogue – doch niemand wird zu solch einer laufintensiven Reise gezwungen. Im Mittelalter sah dies anders aus: Gerichte verurteilten Ketzer zur Pilgerreise nach Rom. Des Totschlags Überführte mussten zur Busse nach Santiago de Compostela aufbrechen. Doch warum ist heutzutage das Pilgern wieder modern?
Im Mittelalter zog es Menschen aus allen Teilen Europas nach Rom oder Santiago de Compostela – auf der Suche nach Seelenheil. Egal bei welcher schweren Sünde: Durch eine Pilgerreise fanden die Menschen Gnade und die Vergebung Gottes. Die Hoffnung für eine solche Reise voller Gefahren und Strapazen war, nicht in der Hölle zu schmoren.
Mittelalterliche Strafen
Im Spätmittelalter nahmen auch weltliche Gerichte das Pilgern in ihr Strafrepertoire auf: Eine Pilgerreise nach Santiago rettete Angeklagte gar vor der Todesstrafe. Ad absurdum wurde das Pilgern durch «Berufspilger» geführt, die sich von Reichen bezahlen liessen, um in deren Namen eine Strafe abzulaufen. Pilgern war – wie auch heute – eine wichtige und lohnende Einnahmequelle für die Pilgerorte. Sie wetteiferten auch mit fragwürdigen Reliquien. Kein Wunder, bezeichnete Martin Luther Pilgern als «Narrenwerk»: «Lauf nicht dahin, man weiss nicht, ob Sankt Jakob oder ein toter Hund daliegt.» Als Folge der Reformation nahm die Pilgertätigkeit ab.
Freiwillig und interreligiös
Gepilgert wird heute freiwillig und meist individuell. Eine breite Öffentlichkeit hat das Pilgern wiederentdeckt. Zum Aufschwung trug Erfolgsautor Paolo Coelho bei, der 1991 den mystischen Buchknüller «Auf dem Jakobsweg» publizierte. Auch der deutsche Komiker Hape Kerkeling pilgerte nach Santiago (also zu Sankt Jakob, dem Heiligen Jakob). Der «Buddhist mit christlichem Überbau» schrieb 2006 den Bestseller «Ich bin dann mal weg». Damit liess er die Pilgerzahlen in die Höhe schnellen.
Wallfahren ist allerdings keine christliche Erfindung. Im jüdischen Glauben ist es seit Anbeginn fest verankert. Der Tempel in Jerusalem – symbolhaft die Wohnung Gottes – galt als grosses Pilgerziel der Juden in der Antike. Im Islam muss ein Gläubiger einmal im Leben den Geburtsort Mohammeds in Mekka besuchen. Jedes Jahr sind rund 2,5 Millionen Gläubige auf dem sogenannten «Haddsch».
Im Buddhismus sind die vier bedeutendsten Wallfahrtsorte eng mit dem Leben und Wirken von Religionsgründer Siddhartha Gautama verknüpft. Auch im Hinduismus ist Reisen wichtiger Bestandteil der religiösen Praxis. Oft liegen die Ziele, die heiligen Stätten, am Wasser. Ebenso wie die Askese, soll Pilgern die Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Tod bringen.
Laufend Abschalten
Die heutige Pilger-Welle ist nicht mit zunehmender Religiosität zu erklären, sondern mit einer Mischung aus «Bewegungs-Kur für Leib und Seele», der Sehnsucht nach Einfachheit, sowie der Suche nach sich selbst. Das «Auf dem Weg sein» wird zum Lebensmotto. Innere Einkehr halten, zur Ruhe kommen, dem Alltag entfliehen und vielleicht auch Spiritualität finden.
Viele kirchliche Gruppen und Pfarreien führen auch heute regelmässig Pilgerreisen, etwa nach Lourdes durch. Pilgern bleibt darüber hinaus eine aktuelle Form kirchlicher Besinnung und auch des Aufbruchs.
Aktuelle Pilgerprojekte
Der Dachverband «Jakobsweg Schweiz» hat für den 20. Mai unter dem Motto «Immer der Muschel nach» den Schweizer Pilgertag organisiert. Dabei soll der ganze Jakobsweg in der Schweiz in 28 Etappen begangen werden. Für jede Etappe zeichnet jemand verantwortlich und begleitet die Leute, die diese Etappe begehen möchten. Die Leitung gibt unterwegs kurze inhaltliche Impulse zum Thema des Tages. Auch im Kanton Bern werden die einzelnen Teilstücke betreut gepilgert. Die «Via Jacobi» von Rorschach nach Genf, via Luzern, Oberried, Interlaken, Spiez, Blumenstein, Rüeggisberg. Es gibt auch die Route Luzern, Bern, Rüeggisberg via Huttwil und Burgdorf.
2017 fallen der 600. Geburtstag von Bruder Klaus und die Feier von 500 Jahre Reformation zusammen. Die Berner Kirchen sind dabei ökumenisch unterwegs. Unter dem Motto «Kirchen bewegen» pilgern an Pfingsten vom 2. bis 5. Juni wohl gut 100 Leute vom Flüeli-Ranft ins Berner Münster. Das gemeinsame Pilgern und die begleitenden Veranstaltungen sollen zum Nachdenken über die gesellschaftswirksame Kraft des Glaubens anregen. Interessierte können spontan mitwandern.
Christina Burghagen/kr
Hinweise
Schweizer Pilgertag, 20. Mai: Infos und Broschüre mit den Kontaktpersonen der einzelnen Etappen: www.pilgern.ch/pilgertag oder facebook.com/jakobswegschweiz
Infos zu «Kirchen bewegen»: www.kirchenbewegen.ch