Manche biblischen Texte legen den Nährboden für sexuelle Übergriffe. Foto: Thomas Kempf, pfarrbriefservice.de
Von der Verharmlosung in Übersetzungen
Sexuelle Gewalt in der Bibel und ihre Abschwächung durch die Wortwahl
Übersetzungen verharmlosen oft die deutliche Sprache in den ursprünglichen Bibeltexten, wenn es um sexuelle Gewalt geht.
von Katrin Brockmöller
So gut wie alle biblischen Textgattungen reflektieren die Realität von sexualisierten Übergriffen und Gewalterfahrungen. In Gebeten, Erzählungen, Gesetzestexten und Liedern stellen sie die Frage nach Verantwortung und Schuld, der An- oder Abwesenheit Gottes, der Solidarität und Empathie mit den Leidenden. Die Texte selbst sind meist eindeutiger als die Übersetzungen …
Miteinander schlafen oder vergewaltigen?
In Dtn 22,23–27 werden sexuelle Übergriffe thematisiert. Aber sowohl in der Überschrift «Beischlaf mit der Verlobten eines anderen» als auch im Text V. 23.25. kommt das Wort «Vergewaltigung» in der Einheitsübersetzung nicht vor (anders die Überschrift der Lutherbibel!). Die gewählten Ausdrücke «miteinander schlafen» oder «sich hinlegen» verharmlosen den Übergriff. Es geht ausdrücklich nicht um einvernehmlichen Sexualverkehr.
Eine Frau «schänden« …
Anstelle von «vergewaltigen» hat die Einheitsübersetzung einige Male (die Lutherbibel fast immer) mit «schänden» übersetzt (z. B. in Jer 3,2; Ez 18,6.11; 33,26; Klgl 5,11). Im Duden wird das Wort «schänden» als «veraltet» qualifiziert. Dieses Wort reproduziert eine abwertende Perspektive auf die Opfer: Sie soll(t)en sich (mit)schuldig fühlen, sich schämen und vor allem schweigen. Genau das unterstützt aber Täterstrategien. Die Elberfelder Bibel ist klarer: «Frauen haben sie in Zion vergewaltigt.» (Klg 5,11).
Ist Tamar einsam oder zerstört?
Nach der Vergewaltigung lebt Tamar »einsam» im Haus (vgl. 2 Sam 13,20). Mit dieser Übersetzung verharmlosen EÜ und Lutherbibel das körperliche, soziale und psychische Leiden. Es scheint sogar so, als wäre der Rückzug in die Einsamkeit eine Entscheidung Tamars. Anders klingen diese Varianten: Als «Verödende» (Martin Buber) bleibt sie zurück. Tamar ist «vernichtet» (Zürcher Bibel) oder «zerstört» (Bibel in gerechter Sprache).
Wie eine Jungfrau in Besitz nehmen?
Natürlich ist die hebräische Grundbedeutung «in Besitz nehmen» in Jesaja 62,5 korrekt. Aber im Vergleich von Jungfrau und Land, von Ehe und «Inbesitznahme» wird daraus eine Anspielung auf eine Vergewaltigung. Warum nicht einfach «heiraten», »sich binden» und Ähnliches?
Was tun?
Diese wenigen Beispiele zeigen, wie stark sich die Wahrnehmung von Sprache und die Sensibilität für die Betroffenen sexualisierter Gewalt verändert haben. Zumindest in liturgischen Kontexten und in jeder Art von kirchlicher Bildungsarbeit gehört zur Vorbereitung, die Texte auf missverständliche Begriffe zu überprüfen und evtl. Varianten zu verwenden.
*Dieser Beitrag erschien zuerst in Bibel und Kirche 1/2023, Katholisches Bibelwerk e.V., Stuttgart 2023, bibelwerk.de
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