Daniel Dossenbach (1983), Historiker und Lehrer, Mitglied des Kleinen Kirchenrates der GKG Bern

Von Dogmen und Geboten

19.05.2011

Daniel Dossenbach

Darauf verliess er sie und ging in ihre Synagoge. Dort sass ein Mann, dessen Hand verdorrt war. Sie fragten ihn: Ist es am Sabbat erlaubt zu heilen? Sie  suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn. Er antwortete: Wer von euch wird, wenn ihm am Sabbat sein  Schaf in eine Grube fällt, es nicht sofort wieder herausziehen? Und wieviel mehr ist ein Mensch wert als ein Schaf? Darum ist es am Sabbat erlaubt, Gutes zu tun.
Mt. 12,9 – 12,12

Dies ist nur eine von vielen Stellen, in denen Jesus mit den Geboten des Alten Bundes bricht. War er ein Revolutionär? Ein Zelot? Diese Bibelstelle vermag vielleicht eine Antwort auf diese Fragen zu geben und darin kommt meines Erachtens etwas Grundlegendes im Handeln Jesu zum Ausdruck: Er hebt die Gebote des Alten Bundes nicht auf, sondern erweitert sie um das universelle Gebot der Liebe, der er alle anderen Gebote unterordnet. Der Dekalog schreibt zwar vor, am Sabbat zu ruhen, aber das darf uns nie davon abhalten, Gutes zu tun und uns unseren Mitmenschen anzunehmen. Von Missgunst getrieben versuchen die Pharisäer, Jesus in Konflikt mit den Geboten zu bringen, um ihm einen Strick daraus zu drehen. Doch er entlarvt sie ihrer Doppelmoral. Gerade wenn es um emotional aufgeladene Themen wie Abtreibung und Homosexualität geht, erlebe ich immer wieder, wie sich unter dem Deckmantel die Herzen von Mitbrüdern und -schwestern verhärten; welch ein Hass sich geradezu bei einzelnen Menschen auf Andersdenkende und -fühlende unter  dem Deckmantel von Frömmigkeit und Rechtgläubigkeit entlädt. Das ist wohl auch der Grund, wieso der Begriff «Dogma» für viele einen negativen Beigeschmack bekommen hat.

Dogmen und Gebote geben den Menschen eine wichtige Orientierungshilfe und die Zuversicht, ihr Leben im Sinne der Evangelien zu führen. Doch sollten wir uns hüten vor einer dogmatischen Erstarrung (Verstockung?). Wenn sie dazu führen, dass wir Mitmenschen allzu schnell verurteilen und wir dadurch gehindert werden, unseren Mitmenschen mit offenem Herzen begegnen und uns ihnen annehmen, ist dies kaum im Sinne ihres Schöpfers. Gerade eine solche dogmatische Erstarrung schreckt viele junge Menschen ab, sich in der Kirche zu engagieren und Ämter zu übernehmen.

Viele fürchten sich, dadurch in ein normatives Korsett aus Geboten und Dogmen gepresst zu werden, die sie nur teilweise mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Ist es nicht eh viel einfacher, ausserhalb der kirchlichen Institutionen Gutes zu tun und sich für die Mitmenschen zu engagieren? Nein. Denn kaum eine Institution bietet dafür solche Strukturen und Ressourcen wie die Kirche. Und nur wer sich engagiert, kann auch etwas bewegen und verändern. Dogmen und Gebote sind richtig und wichtig, aber sie sollen uns nie davon abhalten gegen das Gebot der Liebe und gegen unser Gewissen handeln. Denn es ist auch am Sabbat erlaubt, Gutes zu tun.