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Von guten Mächten

29.12.2022

Aki-Kolumne von Benjamin Svacha

Vor einigen Jahren ist eine Frau verstorben, die ich persönlich nie kennengelernt habe. Soweit ich weiss, war sie die Mutter ei­ner Jugendfreundin meiner El­tern, an ihren Namen oder ihr Aussehen kann ich mich nicht erinnern. Ich weiss nur eine Sa­che von ihr: Sie hatte eine kleine Büchersammlung und interes­sierte sich (genauso wie ich) für philosophische und religiöse Fragen. Nach dem Tod der Frau hat ihre Tochter diese Samm­lung zum Teil aufgelöst und Leu­ten wie mir angeboten, dass wir vorbeikommen können und Werke, die uns ansprechen, mit­nehmen dürfen. Ich hatte mich sehr über dieses Angebot ge­freut und auf diese Weise gleich mehrere Bücher geerbt.

Darunter war auch kleines, gelbes Buch mit kurzen Texten von Dietrich Bonhoeffer. Bon­hoeffer war mir damals kein Begriff und ich kann mich nicht erinnern, weshalb ich ausge­rechnet dieses Büchlein mitge­nommen habe. Erst Jahre später nahm ich es wieder in die Hand und las spätabends darin: Ge­dichte und Texte von einem Mann in seinen Dreissigern, der kurz nach seiner Verlobung ver­haftet, von den Nazis ins Kon­zentrationslager gebracht und im April 1945, einen Monat vor dem Ende des zweiten Weltkrie­ges, schliesslich ermordet wur­de. Eine Biografie, die kaum trostloser hätte enden können.

Im Konzentrationslager schrieb er sein wohl berühmtes­tes Gedicht «Von guten Mäch­ten», welches auch als Lied ver­tont wurde und regelmässig in Kirchen gesungen wird. Ich kannte dieses Lied damals nicht, aber sein Text hat mich vor dem Hintergrund dieser Entstehungs­geschichte tief berührt: Wie konnte jemand, der mit Gewalt von seiner Verlobten getrennt und in einem Konzentrationsla­ger gefangen gehalten wurde, davon schreiben, er sei «von gu­ten Mächten treu und still umge­ben»? Von der Sehnsucht, noch einmal Freude an «dieser Welt und ihrer Sonne Glanz» zu emp­finden – und gleichzeitig von der Bereitschaft, den Kelch, der bis zum höchsten Rand mit Leid ge­füllt ist, dankbar aus Gottes Hand zu nehmen?

In den letzten Jahren be­gegnet mir «Von guten Mäch­ten» regelmässig in Gottes­diensten zum Jahreswechsel und bestimmt wird es auch in diesen Tagen wieder vielerorts gesungen. Für mich selbst wird es aber wieder mehr sein als nur eines von vielen Kirchenliedern: Seit der ersten Begegnung mit Bonhoeffer ist mir seine Lebens­einstellung mehr und mehr zum Vorbild für mein persönliches Gebet geworden. Eigene Hoff­nungen und Wünsche wahrneh­men, ausdrücken und gleich­zeitig bereit sein, auch das Unerwünschte und das Leid dankbar aus Gottes Hand anzu­nehmen – im Wissen darum, dass uns die guten Mächte auch heute treu und still umgeben und einmal mehr ins neue Jahr begleiten.

Benjamin Svacha

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