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Von guten Mächten
Aki-Kolumne von Benjamin Svacha
Vor einigen Jahren ist eine Frau verstorben, die ich persönlich nie kennengelernt habe. Soweit ich weiss, war sie die Mutter einer Jugendfreundin meiner Eltern, an ihren Namen oder ihr Aussehen kann ich mich nicht erinnern. Ich weiss nur eine Sache von ihr: Sie hatte eine kleine Büchersammlung und interessierte sich (genauso wie ich) für philosophische und religiöse Fragen. Nach dem Tod der Frau hat ihre Tochter diese Sammlung zum Teil aufgelöst und Leuten wie mir angeboten, dass wir vorbeikommen können und Werke, die uns ansprechen, mitnehmen dürfen. Ich hatte mich sehr über dieses Angebot gefreut und auf diese Weise gleich mehrere Bücher geerbt.
Darunter war auch kleines, gelbes Buch mit kurzen Texten von Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer war mir damals kein Begriff und ich kann mich nicht erinnern, weshalb ich ausgerechnet dieses Büchlein mitgenommen habe. Erst Jahre später nahm ich es wieder in die Hand und las spätabends darin: Gedichte und Texte von einem Mann in seinen Dreissigern, der kurz nach seiner Verlobung verhaftet, von den Nazis ins Konzentrationslager gebracht und im April 1945, einen Monat vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, schliesslich ermordet wurde. Eine Biografie, die kaum trostloser hätte enden können.
Im Konzentrationslager schrieb er sein wohl berühmtestes Gedicht «Von guten Mächten», welches auch als Lied vertont wurde und regelmässig in Kirchen gesungen wird. Ich kannte dieses Lied damals nicht, aber sein Text hat mich vor dem Hintergrund dieser Entstehungsgeschichte tief berührt: Wie konnte jemand, der mit Gewalt von seiner Verlobten getrennt und in einem Konzentrationslager gefangen gehalten wurde, davon schreiben, er sei «von guten Mächten treu und still umgeben»? Von der Sehnsucht, noch einmal Freude an «dieser Welt und ihrer Sonne Glanz» zu empfinden – und gleichzeitig von der Bereitschaft, den Kelch, der bis zum höchsten Rand mit Leid gefüllt ist, dankbar aus Gottes Hand zu nehmen?
In den letzten Jahren begegnet mir «Von guten Mächten» regelmässig in Gottesdiensten zum Jahreswechsel und bestimmt wird es auch in diesen Tagen wieder vielerorts gesungen. Für mich selbst wird es aber wieder mehr sein als nur eines von vielen Kirchenliedern: Seit der ersten Begegnung mit Bonhoeffer ist mir seine Lebenseinstellung mehr und mehr zum Vorbild für mein persönliches Gebet geworden. Eigene Hoffnungen und Wünsche wahrnehmen, ausdrücken und gleichzeitig bereit sein, auch das Unerwünschte und das Leid dankbar aus Gottes Hand anzunehmen – im Wissen darum, dass uns die guten Mächte auch heute treu und still umgeben und einmal mehr ins neue Jahr begleiten.
Benjamin Svacha