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Von Hartzern und Nietern
Kolumne aus der Inselspitalseelsorge
Wissen Sie, was eine Hartzerin, ein Hudilumper oder eine Wachsbossiererin tut? Können Sie sich etwas unter einem Nieter oder unter einer Pechsiederin vorstellen? Kennen Sie eine Posamenterin, einen Mauser oder eine Gerberin?
Dies sind alles Berufe aus der Liste der ausgestorbenen oder gefährdeten Berufe. Manchmal befürchte ich, dass auch die Spitalseelsorge bald auf dieser Liste steht. Kann unser Beruf mit den gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Entwicklungen Schritt halten, ohne seine spezifische Identität zu verlieren? Und was beinhaltet diese Identität? Ein Physiotherapeut kann ohne weitere Erläuterungen seiner Aufgabe nachgehen. Ich muss oft zuerst erklären, was Seelsorge überhaupt ist. Denn die Berufsbezeichnung erzeugt Assoziationen aus der Zeit der Hartzer und Pechsieder.
Niemand huscht im Talar, die Bibel unter dem Arm, durch die Gänge, und doch geistern wir so durch zahlreiche Köpfe. Vielleicht sind aktuelle Bestrebungen, den Beruf in «Spezialisierte Spiritual Care» umzutaufen, als Versuch zu verstehen, gegen solch hartnäckige Bilder anzukommen und so den Berufsstand zu retten. Vielleicht möchte man den Beruf von den religiös-kirchlichen Rückständen befreien. In den Tessiner Spitälern hat sich eine neue Berufsbezeichnung bereits etabliert: die «Consulenza spirituale». Sie unterstützt Patient:innen und ihrer Familie mit Zeit, Nähe und Zuhören in spiritueller Hinsicht, aber ausdrücklich frei von religiösen Bezügen, so die offizielle Information der «Fondazione Hospice Ticino».
Hoffentlich wird damit nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, respektive das seelsorgerliche Handeln auf eine kleine Nische reduziert und letztlich überflüssig gemacht. «Was würde denn fehlen, gäbe es am Inselspital keine Seelsorge mehr?», wurde ich kürzlich gefragt. Ich gebe die Frage an eine Pflegende weiter, die mich, während ich am Verfassen dieser Zeilen bin, zu einem Patienten ruft. «Ich bin noch jung», sagt sie, «und manchmal fehlt mir in schwierigen Situation ein gewisses Verständnis und sowieso die Zeit. Wenn es Euch nicht mehr gäbe, könnte ich den Patient:innen keine seelische Unterstützung anbieten. Das würde mich belasten.»
Pechsiederinnen sind ausgestorben, weil das aus Tannenharz gewonnene Pech durch moderne Kunststoffe ersetzt werden konnte. Seelsorger:innen, so meine Hoffnung, werden nicht aussterben, weil Menschen in Krisen auch zukünftig horizontaler und vertikaler Verbindungen bedürfen.
Marianne Kramer, ref. Seelsorgerin