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Was können Freiwillige besser als der Staat?

06.12.2018

Podium zur Willkommenskultur im Käfigturm

Früher war der Käfigturm in Bern Gefängnis und Verhörzentrum in einem – heute ist das alte Gebäude ein Zentrum des demokratischen Austausches. Im Rahmen der Ausstellung «Kein Kinderspiel – Auswirkungen von Krieg, Verfolgung und Flucht» fand am 5. Dezember ein Podiumsgespräch zum Thema Willkommenskultur statt – ein Begriff, der in der Bevölkerung gemischte Gefühle hervorruft.

Text und Fotos: Sebastian Schafer


Besonders in Deutschland
wurde der Begriff von der Rechten geprägt, die ihn negativ besetzt, damit eine Politik der offenen Grenzen verurteilt und Stimmung gegen verrmeintliche «Masseneinwanderung» macht. Im Rahmen des Podiums im Käfigturm bewegte sich die Diskussion aber in eine andere Richtung: Zur Debatte stand, inwiefern Freiwilligenarbeit im Asylbereich wichtig, nützlich und förderlich ist: Wie eine Willkommenskultur eigentlich aussehen soll.

Sibylle Stolz, Leiterin der Integrationsbehörde Luzern, machte von Anfang an klar: Ohne Freiwilligenarbeit geht es nicht. Der Staat habe zwar eine Integrationsaufgabe, ohne die Mitarbeit der Bevölkerung passiere aber keine Integration. Diese Freiwilligenarbeit lasse sich jedoch nicht so einfach definieren. Dazu gehörten selbstverständlich Projekte, die Integration vorantreiben – genauso sei aber beispielsweise der Umgang mit Migranten, Gespräche und Engagement im sozialen Umfeld, das Zugewanderte einschliesse, als Freiwilligenarbeit zu bezeichnen.

Auch Andreas Nufer, reformierter Pfarrer der Offenen Kirche Heiliggeist in Bern, betont die freiwillige Arbeit von Menschen, die sich im Alltag mit Migranten beschäftigen. Gleichzeitig fordert er aber vehementes Engagement auch auf politischer Ebene. Sprachkurse, Mittagstische und interreligiöse Cafés reichten nicht, wenn Staat und Kirchen gleichzeitig die Integrationsbudgets kürzten, Sprachkurse für vorläufig Aufgenommene strichen und so sowohl den Integrationswilligen wie auch den engagierten Personen die Arbeit schwer machten. Es brauche den Willen der Politik, strukturelle Rahmenbedingungen zu bieten, die Integration förderten – und die Gesellschaft müsse die Politik dazu anhalten.

Mano Khalil ist jemand, der sich im besten Sinne integriert hat. Der gebürtige Syrer, der schon in seiner Heimat Filme drehte und produzierte, emigrierte 1996 in die Schweiz und setzte sein künstlerisches Wirken hier fort. Vor seinem eigenen Hintergrund als Zugewanderter drehen sich seine Filme um Heimat, Identität und Migration – breit rezipiert wurde vor allem sein Dok-Film «Unser Garten Eden», der sich mit der Multikulturalität in Schweizer Schrebergärten auseinandersetzt.
Findet dort auch Integration statt? Durchaus, findet Khalil. Integration bedeute nicht Raclette, Jodel und Schweizer Fahne. Aber Integration fordere von beiden Seiten eine Offenheit, die Sprache und Kultur kennenzulernen. Integration sei für ihn keinesfalls Assimilation – aber es bedinge, zu lernen, was es heisse Schweizer zu sein.

Nur, was heisst es denn, Schweizer zu sein? Die Frage bleibt während des Podiums offen. Darf sie auch. Andreas Nufer betont, es gebe nicht die Schweiz – sondern unzählige Geschichten und Lebensentwürfe, die die Gesellschaft prägen würden. La Suisse n’existe pas?

Eine kritische Wendung nimmt das Podiumsgespräch erst gegen Ende der Veranstaltung. Die Podiumsteilnehmenden befinden sich faktisch eigentlich auf einer Linie, wirkliche Meinungsunterschiede finden sich nur im Detail – bis die Diskussion für das Publikum geöffnet wird. Ein älterer Herr meldet sich, und legt in breitem Thurgauerdialekt seine Meinung dar – diese Masseneinwanderung sei doch einfach nicht zu schaffen, man müsse ja nur nach Frankreich schauen, da werde schon jedes Wochende eine Frau abgestochen, und überhaupt bildeten Muslime Parallelgesellschaften und gehörten nicht nach Europa.

Die Tirade des älteren Herrn bringt die Teilnehmenden sichtlich aus dem Konzept. Es offenbart sich die Diskrepanz zwischen dem Dialog über Integration und dem Narrativ des Rechtspopulismus. Man merkt: Keiner der Teilnehmenden schafft es, dem fremdenfeindlichen Statement etwas entgegenzusetzen. Wie auch? Im Gegensatz zu der vorhergehenden Diskussion, die sich, sachlich richtig zwar, aber ohne jeden Widerspruch, in einer Blase bewegte, ist die Wortmeldung aus dem Publikum von Gefühlen geprägt, Ressentiments, vagen Ängsten und populistischem Duktus. Hier ist keine Offenheit, kein Verstehen und kein Wille zur Integration spürbar.

Und auf die Frage, wie auf solche Ablehnung reagiert werden soll – darauf scheint keiner der Teilnehmenden eine abschliessende Antwort zu haben.

 

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