Kenner:innen des Synodalen Prozesses in der Podiumsdiskussion: Urs Brosi, Claudia Lücking-Michel, Daniel Kosch und Moderatorin Veronika Bachmann. Foto: Paulusakademie
Welche Zukunft hat die katholische Kirche? Eine Lagebestimmung vor der Weltsynode
Diskussion in der Paulusakademie über Krise und Chance der Kirche.
In der Paulusakademie diskutierten Kenner:innen des Synodalen Prozesses über Krise und Chance der Kirche. Das «pfarrblatt» war dabei und erklärt, was die 68er damit zu tun haben und warum deutscher Aktionismus auch keine Lösung ist.
Francesco Papagni
Welche Zukunft hat die katholische Kirche? Mit dieser Frage eröffnete Veronika Bachmann, Leiterin Theologie und Religion an der Zürcher Paulusakademie die Veranstaltung. Nach ihr ergriff RKZ-Generalsekretär Urs Brosi das Wort und fragte seinerseits, ob der synodale Weg «bloss eine therapeutische Selbsthilfegruppe» sei. Die Antwort gab Brosi gleich selbst: «Wir wissen es noch nicht, aber wir sollten die Chance nutzen.»
In der Krise geboren
Die fulminanteste Ansprache des Abends hielt Claudia Lücking-Michel, Co-Leiterin des Forums «Macht und Gewalt in der Kirche» des Synodalen Weges in Deutschland. Der Synodale Weg sei aus der Krise geboren. Kardinal Marx erkannte nach der ersten deutschen Missbrauchsstudie (2018): «Die Leute glauben uns nicht mehr». Die Bischöfe zogen aus dieser Erkenntnis Konsequenzen und traten an das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) heran, um die Lai:innen zur Mitarbeit einzuladen. Im ZdK diskutierte man damals, ob die Bischöfe den mächtigen Laienverband nicht nur als Feigenblatt benutzen wollten.
Aus der Position der Stärke
Das ZdK machte schliesslich mit, konnte aber aus einer Position der Stärke heraus eine paritätische Verteilung von Bischöfen und Lai:innen fordern. Nach massivem Druck der Frauen wurde ausserdem das Forum «Frauen in der Kirche» geschaffen. Die nüchterne Diagnose zur Lage der Kirche: Es gibt keine Demokratie, keine Machtkontrolle, keine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Aber wer sagt denn, so Lücking-Michel rhetorisch, «dass unsere Kirche deshalb nach dem Muster einer absoluten Monarchie organisiert werden muss?»
Bekanntlich hat Rom in der Zwischenzeit interveniert und die Schaffung eines synodalen Rates in Deutschland verboten, der Lai:innen auch an der bischöflichen Entscheidungsfindung beteiligen wollte. Lücking-Michel setzt trotzdem weiterhin auf den Synodalen Weg und fügt noch die Parole «Einfach machen» hinzu. Wobei unklar blieb, wie weit die Selbstermächtigung gehen sollte.
Der Glaubenssinn des Gottesvolkes
Daniel Kosch, langjähriger Generalsekretär der RKZ und überzeugter Synodale, zitierte in seinem Beitrag Papst Franziskus: «Wenn die Kirche nicht hinaus an die Ränder geht, wird sie krank.» Auch spreche der Papst vom «untrüglichen Glaubenssinn des Gottesvolkes.»
Demgegenüber sei die Schweizer Situation geprägt von einer «Vielzahl und Kleinteiligkeit weitgehend autonomer Strukturen.» Das mache Reformprozesse zur Herausforderung, auch deswegen, weil sich eine falsche Arbeitsteilung eingebürgert habe: Die staatkirchenrechtlichen Organe verwalten das Geld, die Bischöfe sind für den Geist zuständig. Dabei seien doch alle Christ:innen geistbegabt. Was würde es verändern, wenn diese Erkenntnis ernst genommen werden würde, fragte Kosch. Und er schlug auch selbstkritische Töne an. Die Zeit des Kommissionskatholizismus, der schöne Dokumente produziere, sei vorbei – er selbst habe zu diesem Kommissionskatholizismus beigetragen.
Wieso sind vergangene Aufbrüche versandet?
Urs Brosi erinnerte an die Aufbrüche in der Schweiz nach dem Zweiten Vatikanum und fragte, wieso dieser Elan versandet sei. Er machte zwei Faktoren dafür verantwortlich: die kirchenrechtliche Formel «voto gaudet tantum consultivo», zu deutsch: die Stimme geniesst lediglich beratenden Charakter. Im Klartext: Beratende Stimmen sind nicht bindend für Pfarrer oder Bischof. Und das Pontifikat Johannes Pauls II, das die konziliaren Aufbrüche beendet hat.
«Was müsste passieren», fragte Brosi, «damit der heutige Aufbruch nachhaltig ist?». Der studierte Kirchenrechtler skizziert vier Möglichkeiten:
- Das Kirchenrecht wird entsprechend angepasst
- Die freiwillige Selbstbindung der Bischöfe
- Staatliche Eingriffe
- Ungehorsam bis Revolution
Brosi setzte gleich hinzu, dass staatliche Eingriffe immer etwas Zwiespältiges seien, die Veränderung müsse von innen kommen.
Wir haben den Auftrag, das Evangelium in die Welt zu tragen
Nach den Referaten folgte eine Podiumsdiskussion. Brosi begann mit einem starken Votum: Es sei nicht sein Anliegen, den Schrumpfungsprozess zu stoppen. Vielmehr müssen Reformen um der Menschen willen, denen Kirche lieb ist, realisiert werden. Brosi begleitete jüngst 400 Schweizer Ministrant:innen nach Rom. In den Gesprächen mit den Jugendlichen habe er gemerkt, dass die jungen Menschen nicht die gleiche Krisenwahrnehmung haben wie die Baby-Boom Generation.
«Wir sind auf dem Weg, eine priesterlose Kirche zu werden. Bald weihen wir gar niemanden mehr. Die Gleichheit der Geschlechter wird vielleicht auf diesem Wege hergestellt werden», fügte Brosi melancholisch hinzu. Dem widersprach Lücking-Michel leidenschaftlich: Es gehe darum, ob wir dem Auftrag, das Evangelium in die Welt hinauszutragen, gerecht werden oder nicht. Und wieder rief sie zum «Handeln jetzt» auf. Kosch pflichtete ihr indirekt bei, indem er die Wichtigkeit freimütiger Rede betonte, die in der hiesigen katholischen Kirche selten vorhanden sei.
Der Fall der Mauer – ein tückisches Bild
Wie wird also die Zukunft der katholischen Kirche aussehen? Grundelgende Reformen wird es wohl nicht geben. Aber vieles, was unter den reaktionären Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. tabu war, ist es heute nicht mehr. Daniel Kosch verwies darauf, dass Begriffe wie Rechenschaftsplicht, die wir heute in vatikanischen Dokumenten finden, noch im vorangegangenen Pontifikat undenkbar gewesen seien. Kirchenrechtler Brosi unterstrich die Bedeutung von klaren Zuständigkeiten und Regeln und konterkarierte so auch Lücking-Michels Aktivismus. Synodalität – das sagte Brosi nicht, ist aber die Konsequenz seiner Position – darf nicht zu einer Art 68er-Vollversammlung mutieren, wo diejenigen entscheiden, die sich durchsetzen können.
Lücking-Michel ihrerseits wies darauf hin, dass einen Tag vor dem Fall der Berliner Mauer niemand ein solches Ereignis für möglich hielt. Dieses Bild hat aber seine Tücken: Nach dem Fall der Mauer war der Staat hinter dieser Mauer, nämlich die DDR, bald nicht mehr da. Niemand von den Teilnehmenden, Lüking-Michel eingeschlossen, wünscht sich einen Zusammenbruch der katholischen Kirche.