Weltjugendtag (WJT) Krakau
«... damit kein Papst-Kult entstand». Eine Bilanz von Alain de Raemy, Weihbischof von Lausanne, Genf und Freiburg
Alain de Raemy, Weihbischof von Lausanne, Genf und Freiburg, war mit Schweizer Jugendlichen über zehn Tage unterwegs am Weltjugendtag in Krakau. Im Studentenwohnheim «Krakowiak» sprach er über seine persönlichen Erlebnisse und zog Bilanz über dieses kirchliche Grossereignis in Polen.
Vera Rüttimann: Mehr als eine Millionen Pilger trotzen der Hitze und feierten mit dem Papst. Wie haben Sie das Weltjugendtreffen erlebt?
Alain de Raemy: Ich wohnte zusammen mit anderen Bischöfen aus aller Welt im Hotel «Krakowiak», einem der Studentenwohnheime der Universität etwas ausserhalb des Stadtzentrums. Von dort wurden wir mit dem Bus zum «Feld der Barmherzigkeit» gebracht. Auf der Fahrt dorthin sah ich, wie Tausende Pilger sich in der brütenden Hitze auf dem Weg zum Feld machten, um die nächtliche Vigil zu erleben. Ungewöhnlich war, wie sie auf unsere vorbeifahrenden Busse reagierten. Sie klatschten mit ihren Händen fröhlich an die Scheiben, so dass eine Kommunikation zwischen uns entstand. Berührend fand ich auch, wie Anwohner die Pilger mit Getränken und Broten versorgten. Die musikalischen Darbietungen an der Vigil waren kunstvoll und schön, die Zeugnisse der ausgewählten Einzelpersonen beeindruckend. Sogar die Sonne und Wolken machten dabei mit.
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Das war der Kreuzweg mit dem Papst auf den Krakauer Błonia-Wiesen, wo es auf dem ganzen Gelände verteilt zu jeder Kreuzwegstation kunstvolle Inszenierungen gab.
Gab es besonders starke Aussagen seitens des Papstes?
Es gab viele starke Aussagen von ihm in dieser Woche. Besonders berührt hat mich sein Appell an die Jugendlichen an der nächtlichen Vigil, «Vorreiter der Geschichte» zu sein. Stark fand ich, als er zu ihnen sagte, sie seien nicht auf die Welt gekommen, um zu vegetieren, um es sich bequem zu machen, um aus dem Leben ein Sofa zu machen, das uns einschläfert. Vor allem sein Satz: «In der heutigen Zeit braucht es keine Sofa-Jugendlichen, sondern junge Menschen mit Schuhen, noch besser mit Stiefeln an den Füssen, um Spuren zu hinterlassen», bleibt wohl nicht nur mir in Erinnerung.
Die nationalkonservative Regierung in Warschau lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen ab. Auf welche Weise wurden Sie am Weltjugendtag mit diesem Thema konfrontiert?
Einen profunden Einblick erhielt ich durch die Gespräche mit Weihbischof Krzysztof Zadarko, dem Vorsitzenden des Rates für Migration, Tourismus und Wallfahrt der Polnischen Bischofskonferenz. Er, der persönlich für die Aufnahme von Flüchtlingen ist, berichtete mir, wie schwierig es sei, eine offene Haltung diesem Thema gegenüber selbst den Bischöfen zu vermitteln. Wie herausfordernd es sei, sich zwischen der Botschaft des Evangeliums und der Haltung der polnischen Regierung zu bewegen. Zweifellos aber müsse sich die Gesellschaft – das war eines der Kernthemen während dieses Treffens – der wurzellosen Secondos annehmen und sich für die Aufnahme von Flüchtlingen öffnen.
Papst Franziskus und die Jugend: Wie nahmen Sie diese Beziehung in Krakau wahr?
Eindrücklich war seine Fahrt mit dem Tram ins Zentrum Krakaus, wo Tausende ihm zujubelten. Er zeigte Grösse in seiner Einfachheit – ein sehr nahbarer Papst. Andererseits ist mir aufgefallen, dass Papst Franziskus anders als seine Vorgänger nach der Vigil nach dem Segen nicht mehr auf die Bühne zurückkehrte, um die Jugendlichen mit einigen Worten in die Nacht zu verabschieden. Vielen ist das vielleicht gar nicht aufgefallen oder sie haben es nicht vermisst.
Wie deuten Sie das?
Ich habe gesehen und herausgespürt – nicht nur an der Vigil – dass es den meisten Jugendlichen nicht allein um den Papst oder nur um eine euphorisierende katholische Party-Stimmung geht. Ich glaube an die Kraft von spirituellen Grossveranstaltungen. Und ich bin überzeugt, dass der Weltjugendtag jeden in seiner persönlichen Beziehung zu Gott weiterbringt. Viele Jugendliche sehen ihr Leben danach in einem anderen Licht und in neuer Klarheit. Schliesslich glaube ich, dass Papst Franziskus selbst darauf geachtet hat, den Fokus nicht zu stark auf sich selbst zu richten, damit kein Papst-Kult entstand.
Wie haben Sie als Bischof die Tage in Krakau erlebt?
Meine Vormittage begannen mit den Katechesen, die ich in einzelnen Kirchen Krakaus halten konnte. Das war unter anderem für die Westschweizer, die ihre Pfarrei in der Nähe meines Hotels hatten und für eine Pilgergruppe aus Paris mit Behinderten in einer Kirche von Wieliczka. Der Zeitplan war sehr eng getaktet. Nach der Katechese ging es meist sofort weiter mit einem gemeinsamen Grossanlass. Erst gegen Abend konnte ich mit anderen am Rynek Głowy die Stimmung in der Stadt geniessen. Am Rynek war beispielhaft zu sehen, was für das ganze Treffen stand: Alles war hervorragend organisiert, die Polizei war dezent präsent und die Freiwilligen waren immer freundlich. An ihren Gesichtern sah ich die Freude, den sie an ihrem Dienst hatten.
Welche Begegnungen am Weltjugendtag stachen für Sie besonders heraus?
Die erste eindrückliche Begegnung war gleich zu Beginn des Vortreffens mit einem jungen Paar, das bereits an drei Weltjugendtagen war. Sie kamen zu mir und sagten, dass sie sich hier am Treffen verloben wollten. Während einer Messe mit den Westschweizer Pilgern hielt ich für sie eine kleine Liturgiefeier. Ich stelle immer wieder fest: Der Weltjugendtag ist die beste katholische Heiratsagentur der Welt.
Gibt es weitere Geschichten, die Sie zu Hause erzählen werden?
Einer der Fahrer des Hotels «Krakowiak» fragte, ob er mit mir einen Umweg fahren dürfe. Er fuhr mich zum Haus, in dem er und seine Familie leben. Seine Mutter mähte gerade den Rasen, als ich mit ihm ankam. Sie hatte eine Riesenfreude. Eindrücklich war auch die Einladung bei einer Familie während des Vortreffens im Bistum Koszalin-Kołobrzeg, das von Bischof Edward Dajczak geführt wurde. Dort fiel der Satz: «Ihr Gäste des Weltjugendtages seid eine grosse Bereicherung für die polnischen Jugendlichen.» Wir empfanden es umgekehrt natürlich genauso.
Dieser Weltjugendtag fand in einer Zeit terroristischer Anschläge statt. Welches Zeichen haben die Pilger und die Bürger der Stadt Krakau diesbezüglich setzen können?
Ich halte es mit dem Papst, der sagte: «Die einzige Angst auf den Terror kann nicht Angst sein, sondern die Zuversicht, dass Brüderlichkeit möglich ist.» Dieser Weltjugendtag hat einmal mehr gezeigt: Es geht dabei nicht nur um Beten, sondern das gemeinsame Zusammensein dank des gemeinsamen Glaubens. Obwohl die Fahnen von Ländern nebeneinander zu sehen waren, die im Krieg stehen, wie etwa Israel und Palästina, konnten sich hier ihre Jugendlichen im Frieden treffen. Das Licht in den Augen einiger junger Leute traf mich tief.
Auch die Schweizer Jugendlichen kehren nun zurück. Der Papst wünscht, dass der Weltjugendtag dort in ihrem Alltag weitergeht. Was können die Pfarreien vom Schwung dieses Treffes mitnehmen?
Sie können die Begeisterung der Jugendlichen mitnehmen. Es kommt jetzt sehr darauf an, ob es unsere Leute im Dienst der Kirche vor Ort verstehen, die Jugendlichen in ihrem Elan zu packen und ihnen mit Neugier und Interesse zu begegnen. Gemeinsam kann auf diese Weise viel vom Schwung dieses Weltjugendtages erhalten bleiben.
Interview: Vera Rüttimann, kath.ch