Im Garten des Malers Claude Monet in Giverny lässt sich das biblische Paradies erahnen. Foto: iStock
Wenn der Garten ruft
Über die Sehnsucht der Menschen nach Gärten
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(25.03.22)«Wo steckst du nur, du solltest doch …» Mit leisem Triumph war ich den mütterlichen Aufforderungen zur Gartenpflege entwischt und hatte meinen verwunschenen Leseplatz aufgesucht. Dieser weitläufige Garten, Spielparadies und Rückzugsort, sollte später in der Erinnerung leuchten – bis hin zu jener Nacht, als es klirrte und krachte. Ein Betrunkener wich mit dem Auto von der Strasse ab und zertrümmerte den Gartenzaun.
Von Beatrice Eichmann-Leutenegger
Gross ist die Sehnsucht der Menschen nach Gärten, wenn der Frühling einzieht. Tief verborgen in der Seele wirkt dabei die Vorstellung des biblischen Paradieses mit. In den Klostergärten, den Lustgärten der Adeligen, dem Englischen Garten, wie ihn Bern in der Elfenau pflegt, den farbenfrohen Bauerngärten oder in Claude Monets Garten in Giverny wirkt diese Idee fort. Dass der Dichter der Genesis einen Garten als idealen Ort gewählt hat, ist kein Zufall. Denn für die Menschen des Vorderen Orients galt er als Gegenwelt zur Wüste. Noch heute spiegelt sich dieses Muster im zweigeteilten Areal innerhalb des Kreuzgangs der Zisterzienser in Hauterive FR: hier der Sandboden, dort das fruchtbare Terrain.
Die biblische Paradiesgeschichte endet mit der Vertreibung des Paars. Seither wissen wir, dass auch ein Garten Eden nicht dauerhaft besteht. Krieg und Zerstörung drohen, und vielleicht wird der Kyoto Park in Kiew mit seinen Kirschbaumalleen nur noch in der Erinnerung fortleben – eine Gegenwelt zum Schrecken dieser Stadt.
Welch wunderbare Bilder erweckt das Hohelied als Metapher für die Geliebte: «Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut …», sei es in konkreten Schilderungen: «In den Nussgarten stieg ich hinab,/ um nach dem Sprossen der Palme zu sehen,/ um zu sehen, ob der Weinstock treibt,/ die Granatbäume blühen …» Doch diese Welt, trunken von Poesie, zeigt Brüche auf, denn die Liebenden sprechen elegisch vom Suchen, Finden und Verlieren.
Die Verlassenheit im Garten Getsemani
Diese ambivalenten Muster offenbaren sich auch in der Schilderung jener Stunden, die Jesus in Getsemani verbringt. Johannes spricht von einem Garten, in den sich Jesus zurückzieht, Lukas vom Ölberg, während Markus und Matthäus präzis Getsemani nennen, den Garten jenseits des Baches Kidron. «Setzt euch und wartet hier, während ich dort bete», fordert Jesus die Jünger auf. Getsemani, das er mit ihnen schon früher gern aufgesucht hat, wird zum Ort der inneren Sammlung. Aber angesichts der kommenden Passion wandeln sich die Gefühle bis zur abgrundtiefen Verzweiflung, und schonungslos offen bekennt Jesus: «Meine Seele ist zu Tode betrübt.» Die Bitte «Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht, wie ich will, sondern wie du willst», spiegelt den Widerstreit zwischen der Furcht vor dem Leiden und einer rückhaltlosen Hingabe. «Wacht und betet!», ermahnt er die Jünger einsam.
Es sind Sätze, die über die Jahrtausende nachhallen. Der Mensch erinnert sich an sie, wenn er in ausweglose Finsternis gerät. An keinem anderen Ort ist uns Jesus als Bruder so nahegekommen wie im Garten am Ölberg. Denn jeden Menschen erwarten irgendwann im Leben Stunden äusserster Verlassenheit.
Kürzlich fiel mir ein Buch des Bühnen- und Fernsehkomikers Hape Kerkeling (*1964) in die Hände. Mit seinem Pilgerbuch «Ich bin dann mal weg» (2006) hat er ein Millionenpublikum erreicht. Seine Autobiografie «Der Junge muss an die frische Luft» (2014) hingegen ermöglicht einen anderen Blick auf den Unterhaltungsstar. Der achtjährige Hans-Peter (Hape) erlebt sein Getsemani, als er nachts verzweifelt neben seiner starren Mutter liegt, die sich heimlich mit Tabletten vergiftet hat. Er will sie mit aller Kraft wachrütteln und weiss sich allein nicht zu helfen. Anders als die Jünger wacht und betet er «ein Vaterunser nach dem anderen», bis der Vater von der Nachtschicht zurückkommt.
Im Vorspann zu diesen Erinnerungen erwähnt Kerkeling die Dreharbeiten für eine ZDF-Dokumentation, in deren Verlauf er 2009 Getsemani besucht hat. Vom Wärter erhielt er ein Sprechverbot an diesem «so verletzlichen Ort». Doch «seltsam befreiend fühlt es sich an, still durch diesen Garten zu wandeln. Die heilsame Kraft, die von diesem grünen Fleck ausgeht, ist für mich körperlich wahrnehmbar und beschert mir unerwartet einen der schönsten und unvergesslichsten Momente meines Lebens.» Für ihn verwandelte sich dieser Ort von Leid und Verrat in einen Hort «liebevoller Kraft». War die Kindheitspassion, lange als Trauma in seiner Seele verwahrt, in der Leidensgeschichte Christi aufgegangen?