«Musik ist ein verlängerter Arm des Heiligen Geistes.» Gitarrist Richard Koechli im Kreuz in Herzogenbuchsee. Foto: Vera Rüttimann
«Wenn ich singe, ist das wie Zungenrede»
Der Gitarrist Richard Koechli in Herzogenbuchsee
Glaube, Spiritualität, Tod – und was das alles mit dem Blues zu tun hat. Darüber gab der Gitarrist Richard Koechli beim zweiten «Café Théo» in Herzogenbuchsee redend und spielend Antwort.
Vera Rüttimann
Richard Koechli sitzt mit geschlossenen Augen auf seinem Stuhl. Zärtlich streichelt er über seine Slidegitarre. Dann wieder haut er schwungvoll in die Saiten. Wenn er mit dem Flaschenhals über den Lauf streift, entlockt er der Gitarre melancholische Töne. Man hört die Schwermut des Blues. Richard Koechli spielt ihn auch im Hotel Kreuz mit spiritueller Hingabe.
Judith Wipfli, welche die Veranstaltungsreihe «Café Théo» moderiert, stellt Richard Koechli als preisgekrönten Gitarristen und Singer/Songwriter vor, der seit über 30 Jahren auf der Bühne und im Studio wirkt. Der über Blues forscht und schon mehrere Bücher darüber herausgebracht hat. Judith Wipfler fragt: «Sie sagen, dass sie bei Auftritten tausend Tode sterben. Wie kommt das?»
Blues ist wie Sterben
Der Blues, erläutert Richard Koechli, sei eine Art zu Sterben. Da sei zum einen die Schutzlosigkeit. «Man ist ausgesetzt, man zeigt seine Seele nackt. Man ist verwundbar. Oder man hat bereits Wunden und muss sie zeigen.» Zudem wehre er sich auf der Bühne nicht gegen ein Gefühl, sondern nehme es an. Begebe sich in andere Hände. Der finale Akt sei dann, «wenn ich als Musiker diese Gedanken und Gefühle so in Musik transformieren kann.»
Richard Koechli spielt frei auf, improvisiert mit geschlossenen Augen. «Wenn ich improvisiere, dann ist das stets eine Reise ins Unbekannte.» Den eigenen Willen aufgeben, loslassen, das sei die Voraussetzung dafür. «Wenn ich nicht vorher bereit gewesen wäre zum ‹Sterben›, dann wäre das auf diese Weise nie so möglich», fügt er an.
Seine Sprache ist die Musik
Richard Köchli kämpft auf der Bühne mit dem Sprechen. Seit vielen Jahren kämpft er mit dem Stottern. «Meine Sprache hat sich nie wirklich mündlich gebildet. Meine Sprache ist die Musik», sagt der Musiker. Es ist noch stiller, als er sagt: «Der Stotterer weiss eigentlich immer: Das Ich hat einen Riss.» Die Sprache gehöre zur Identität. Wenn er stottere, müsse er diese ein Stück weit aufgeben. «Auch das ist wie sterben.»
Blues kommt vom Glauben
Woher kommt der Blues? Die Frage geht an einen Kenner: 2021 erschien Richards Koechlins Buch «Holy Blues» über die Geschichte des Gospel Blues. Er stamme, so Koechlin, von den gequälten Sklaven, die ihn auf den Feldern sangen. Und deren Peiniger ihnen das Christentum aufgezwängt hatten, das tatsächlich in ihnen wurzeln konnte. Darüber staunt der Musiker noch heute: «Wie grossartig muss eine Botschaft sein, dass man sie von Mördern und Unterdrückern annimmt?» Blues, Gospel und Glaube, das gehört für Koechli untrennbar zusammen.
Feeling Blue
«Warum ist der Blues so ‹blue› ?», fragt Judith Wipfler den Gitaristen. Sie habe den Text von «Strange Fruit» von Billy Holiday gelesen, wo sie das Leiden der Afrikanerinnen beschreibt. Können wir, fragt sie, dieses Leid in der freien Schweiz nachfühlen, wenn wir Gospels singen und Soul hören? Leiden, der Weg in die Tiefe, ist für Koechli universal. Er sagt: «Wenn man sich Jesus annähern möchte, dann ist das immer ein Kreuzweg. Da spielt die Hautfarbe keine Rolle.» Zu «feeling Blue» fügt der Innerschweizer an: «Alle grossen afro-amerikanischen Künstler sagten: Auch ein Weisser kann Blues ausdrücken und fühlen.» Die Frage ist, ob man bereit sei zu sterben, um sich zu transformieren.
Wie eine Zungenrede
Mit dem «Schacher Seppli» von Ruedi Rymann hat Richard Koechli auch einen Schweizer Holy Blues im Repertoire. Das Publikum lauscht ergriffen. Eine Frau aus dem Publikum sagt: «Was da aus Ihrer Gitarre rausgekommen ist, hat mich auf eine innere Reise mitgenommen. Ich gehe vollgetankt nach Hause.» Richard Koechlin schliesst mit den Worten: «Musik ist ein verlängerter Arm des Heiligen Geistes. Wenn ich Musik mache, jamme oder singe, dann ist das wie eine Zungenrede.»
Hinweise:
Die Veranstaltungsreihe «Café Théo» im Restaurant Kreuz in Herzogenbuchsee wird organisiert von der ev.-ref. Kirchgemeinde Herzogenbuchsee und dem röm.-kath. Pastoralraum Oberaargau. Themen waren Liebe, Kunst und Tod. Letzte Veranstaltung: 11. Februar: «Kunst unsterblich?» Gedanken und Lesung mit Guy Krneta aus «Die Perücke». Restaurant Kreuz Herzogenbuchsee, 10-12 Uhr.
Auch zu Beginn des nächsten Jahres soll es wieder ein «Café Théo» geben. Der Schwerpunkt ist noch nicht bekannt, möglicherweise werden sich die Veranstaltungen um Kirche und Naturwissenschaft drehen.