Bischof Michael Curry während der Predigt in der St.-Georgskapelle auf Schloss Windsor Foto: Owen Humphreys/via Reuters
Wenn Liebe der Weg ist
Von der bedingungslosen, uneigennützigen Liebe und dem Pazifismus. Die Predigt von Bischof Michael Curry an der königlichen Trauung vom 19. Mai im Wortlaut.
Der britische Prinz Harry of Wales und die amerikanische Schauspielerin Meghan Markle haben am 19. Mai in der St.-Georgs-Kapelle auf Schloss Windsor geheiratet. Sie sind nun Herzog und Herzogin von Sussex. Für ein «pfarrblatt» ist das nicht zwingend eine Nachricht wert. Die entsprechenden Details mögen Sie deshalb auf anderen Seiten suchen. Eine Predigt aber verdient es, genauer betrachtet zu werden.
Der Hochzeitsgottesdienst insgesamt enthielt Elemente, die durchaus interessant waren. So erlebte man beispielsweise, dass die anglikanische Kirche in ihrer Liturgie sehr viel stärker mit der Liturgie der römisch-katholischen Kirche verwandt ist, als es das andere Konfessionen sind.
Geleitet wurde der Gottesdienst vom Erzbischof von Canterbury, Justin Welby. Er ist das geistliche Oberhaupt der Kirche. Vorab soll er die Braut, die sich keiner Konfession zugehörig fühlte, getauft und gefirmt haben. Ihre Schulzeit verbrachte sie auf einer katholischen Privatschule in Kalifornien.
Die Predigt hielt Michael Curry. Der Afroamerikanier ist der «Presiding Bishop» der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten von Amerika. Bischof Curry ist damit der Primas dieser Kirche, gewählt von der Bischofskonferenz. Die Episkopalkirche der USA ist eine Mitgliedskirche der Anglikanischen Gemeinschaft.
Die Predigt des Bischofs sorgte gerade in den Social Media für einige Reaktionen. Michael Curry predigte mit viel Enthusiasmus, mit grossen Gesten, mit viel Feuer. Nebenbei war es das Feuer, das ein wichtiges Bild seiner Ausführungen war. Es war insgesamt offenbar für den Ort und die versammelte Gemeinschaft eine recht ungewöhnliche Darbietung.
Der Text Michael Currys ist durchzogen mit vielen Bibelzitaten, manchmal offensichtlich, oftmals sehr versteckt. Der Bischof zitiert eine Bibelstelle, wiederholt sie, betont sie, reichert sie mit weiteren Bildern und Metaphern an, um sie schliesslich komplett neu zu formulieren. Er lässt Liedzeilen des geistlichen Liedgutes der afroamerikanischen Bevölkerung des Südens in seinen Text einfliessen – ganz natürlich, beinahe unmerklich. Spirituals heissen die. Er zitiert Martin Luther King, den Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin, das Neue und das Alte Testament. Ganz freimütig, oftmals ohne Quellenangaben und völlig frei in der Komposition. Er redete der absoluten Liebe das Wort, bedingungslos, selbstlos, uneigennützig.
Hier die vollständige Predigt im Wortlaut:
Und jetzt im Namen unseres liebenden befreienden und lebenspendenden Gottes, des Vaters, Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.
Im biblischen Hohelied Salomos heisst es: Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, / wie ein Siegel an deinen Arm! Stark wie der Tod ist die Liebe, / die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuergluten, / gewaltige Flammen. Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen; / auch Ströme schwemmen sie nicht weg.
Der verstorbene Dr. Martin Luther King sagte einmal: Wir müssen die Kraft der Liebe entdecken, die erlösende Kraft der Liebe, und wenn wir das tun, werden wir aus dieser alten Welt eine neue Welt machen – denn Liebe ist der einzige Weg.
Die Liebe ist machtvoll. Unterschätzt das nicht. Betrachtet das auch nicht zu sentimental. Es gibt Kraft, Kraft in der Liebe. Wenn ihr mir nicht glaubt, denkt an jene Zeit, in der ihr euch zum ersten Mal verliebt habt. Die ganze Welt schien sich um euch und eure Geliebten zu drehen. Es gibt Kraft, Kraft in der Liebe.
Nicht nur in ihren romantischen Formen, sondern in jeder Form, jeder Ausprägung der Liebe. Es gibt einen gewissen Sinn, wenn man geliebt wird und sich dessen bewusst ist, wenn man weiss, jemand kümmert sich um einen, wenn man liebt und es auch zeigt – dann fühlt es sich tatsächlich richtig an. Da ist etwas richtig.
Und dafür gibt es einen Grund. Der Grund hat mit der Quelle zu tun. Wir wurden von einer Macht der Liebe geschaffen. Und das Leben, jedes Leben soll in dieser Liebe gelebt werden. Deshalb sind wir hier.
Letztendlich ist die Quelle der Liebe Gott selbst, die Quelle all unseres Lebens. Es gibt ein altes mittelalterliches Gedicht, da heisst es: Wo wahre Liebe gefunden wird, ist Gott selbst da.
Im Neuen Testament heisst es so: Ihr Lieben, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. / Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe.
Es liegt Macht in der Liebe. Es liegt Macht in der Liebe zu helfen und zu heilen, wenn das nichts anderes mehr kann. Es liegt Macht in der Liebe, sich zu erheben und zu befreien, wenn nichts anderes mehr möglich ist. Es gibt Macht in der Liebe, uns den Weg zu zeigen, wie wir das Leben führen sollen. Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, / wie ein Siegel an deinen Arm! Stark wie der Tod ist die Liebe.
Aber bei der Liebe geht es nicht nur um ein junges Paar. Jetzt zeigt sich die Kraft der Liebe durch die Tatsache, dass wir alle hier sind. Zwei junge Leute haben sich ineinander verliebt und wir sind alle hierhergekommen. Wir freuen uns aber nicht nur über und für ein junges Paar. Es ist mehr als das. Jesus von Nazareth wurde einmal von einem Gesetzeslehrer gebeten, das Wesen der Lehren Mose zusammenzufassen. Er griff auf die hebräischen Schriften zurück, auf Deuteronomium und Levitikus, und Jesus sagte, du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.
Dies ist das erste und wichtigste Gebot, und das zweite ist ebenso wichtig: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und dann fügte er in der Version nach Matthäus hinzu, an diesen beiden Geboten, der Gottesliebe und der Nächstenliebe, hängt das ganze Gesetz samt den Propheten. Alles, was Moses schrieb, alles bei den heiligen Propheten, alles in den Schriften, alles was Gott versucht hat, der Welt zu vermitteln. Liebe Gott, liebe deine Nachbarn, und wenn du schon dabei bist, liebe dich selbst.
Nun hat einmal jemand gesagt, dass Jesus die revolutionärste Bewegung in der gesamten Menschheitsgeschichte begonnen habe, eine Bewegung, die auf der bedingungslosen Liebe Gottes für die Welt beruht. Eine Bewegung, die Menschen dazu auffordert, diese Liebe zu leben. Und indem sie das befolgen, verändern sie nicht nur ihr Leben, sondern das Leben der Welt selbst.
Ich spreche von wirklicher Macht, echter Macht. Macht, die Welt zu verändern. Wenn Ihr mir nicht glaubt, nun, da gab es ein paar alte Sklaven in Amerikas Vorkriegs-Südstaaten, welche die dynamische Kraft der Liebe erklärten und warum sie die Macht habe, zu verwandeln. Sie haben es auf diese Weise erklärt: Sie sangen ein altes geistliches Volkslied, ein Spiritual, sogar in der Gefangenschaft, es ist jenes Lied, indem es um den Balsam aus Gilead geht. Ein heilender Balsam, der wieder ganz machen kann.
In Gilead gibt es einen Balsam, der Verletzte wieder gesund macht. In Gilead gibt es einen Balsam, der die kranke Seele heilt. Eine der Strophen erklärt tatsächlich warum: Sie sagten, wenn du nicht wie Petrus predigen kannst und du nicht wie Paulus beten kannst, dann erzähl einfach über die Liebe Jesu, wie er gestorben ist, um uns alle zu retten. Oh, das ist der Balsam aus Gilead. Dieser Weg der Liebe ist der Weg des Lebens. Sie haben es verstanden, er ist gestorben, um uns alle zu retten. Er starb nicht für dafür, um irgendetwas zu gewinnen. Jesus erhielt keine Ehrendoktorwürde für das Sterben. Er hat nichts davon bekommen. Er gab sein Leben auf, er opferte sein Leben für das Wohl der anderen, für das Wohl des anderen, für das Wohlergehen der Welt. Für uns, das ist Liebe.
Liebe ist nicht selbstsüchtig und egozentrisch. Liebe ist aufopfernd. Und dadurch wird sie zur Erlösung, und dieser Weg der selbstlosen, aufopfernden, erlösenden Liebe verändert Leben. Und sie kann diese Welt verändern. Wenn ihr mir nicht glaubt, haltet inne und überlegt oder stellt euch vor. Überlegt und stellt euch vor, überlegt und stellt euch eine Welt vor, in der die Liebe der Weg ist. Stellt euch unsere Häuser und Familien vor, wenn Liebe der Weg ist. Stellt euch Nachbarschaften und Gemeinden vor,
wo Liebe der Weg ist.
Stellt euch Regierungen und Nationen vor, bei denen Liebe der Weg ist. Stellt euch Wirtschaft und Handel vor, wenn Liebe der Weg ist. Stellt euch diese müde alte Welt vor, wenn die Liebe der Weg ist, selbstlos, aufopfernd, erlösend. Wenn Liebe der Weg ist, dann wird kein Kind auf dieser Welt jemals wieder hungrig zu Bett gehen. Wenn Liebe der Weg ist, wird Gerechtigkeit für immer siegen, wie eine mächtige Strömung.
Wenn Liebe der Weg ist, wird Armut zur Geschichte. Wenn Liebe der Weg ist, wird die Erde ein Heiligtum sein. Wenn Liebe der Weg ist, werden wir unsere Schwerter und Schilde niederlegen, unten am Flussufer («down by the riverside»), um nicht mehr an den Krieg zu denken. Wenn Liebe der Weg ist, gibt es viel guten Platz, viel guten Raum für alle Kinder Gottes. Denn wenn Liebe der Weg ist, behandeln wir uns gegenseitig, naja, so wie wir eigentlich Familie sind. Wenn Liebe der Weg ist, wissen wir, dass Gott die Quelle von uns allen ist und wir Brüder und Schwestern, Kinder Gottes sind. Meine Brüder und Schwestern, das ist ein neuer Himmel, eine neue Erde, eine neue Welt, eine neue Menschenfamilie. Und lasst mich euch etwas sagen, der alte Salomo hatte Recht im Alten Testament, das ist Feuer.
Pierre Teilhard de Chardin – und damit sammeln wir uns wieder etwas – denn wir wollen ja heiraten. Also, der französische Jesuit Pierre Teilhard de Chardin war einer der grossen Denker, einer der grossen Geister des 20. Jahrhunderts. Ein Jesuit, römisch-katholischer Priester, Wissenschaftler, ein Gelehrter, ein Mystiker. In einigen seiner Schriften verknüpfte er sowohl seinen rein wissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen Hintergrund mit seinem theologischen Hintergrund. In einigen seiner Schriften sagte er, wie andere es auch getan haben, dass die Entdeckung oder Erfindung oder Nutzung des Feuers eine der grössten wissenschaftlichen und technologischen Entdeckungen in der gesamten menschlichen Geschichte sei. Feuer hat die menschliche Zivilisation weitgehend möglich gemacht. Feuer machte es möglich, Nahrungsmittel zu kochen und damit hygienische Formen der Ernährung erst zu ermöglichen, welche die Ausbreitung von Krankheiten reduzierten. Feuer machte es möglich, warme Umgebungen zu kreieren und dadurch die Migration von Menschen um die Welt zu ermöglichen, selbst in kältere Klimazonen. Feuer machte es möglich, es gäbe keine Bronzezeit ohne Feuer, keine Eisenzeit ohne Feuer, keine industrielle Revolution ohne Feuer.
Der Fortschritt von Wissenschaft und Technologie hängt stark von der menschlichen Geschicklichkeit und Fähigkeit ab, das Feuer zu nehmen und es für das Wohl der Menschen zu nutzen.
Ist heute jemand mit dem Auto hier? Einem Automobil? Nicken Sie mit dem Kopf, wenn Sie es sind, ich schätze, also ich weiss, dass einige mit der Kutsche gekommen sind. Aber diejenigen von uns, die mit dem Auto hier sind, das kontrollierte Feuer machte es möglich.
Ich weiss, dass die Bibel sagt, und ich glaube daran, dass Jesus auf dem Wasser ging, aber ich muss euch sagen, dass ich nicht über den Atlantik gegangen bin, um hierher zu kommen. Kontrolliertes Feuer in einem Flugzeugmotor hat mich hierhergebracht. Feuer macht es möglich, dass wir SMS und Tweets und E-Mails versenden können und Instagram und Facebook nutzen, um damit sozial dysfunktional miteinander umzugehen (!). Feuer macht all das möglich und de Chardin sagte, dass Feuer eine der grössten Entdeckungen in der gesamten Menschheitsgeschichte sei.
Und weiter sagte er, dass – nachdem die Menschheit die Energie des Feuers beherrscht – wenn die Menschheit jemals die Energie der Liebe beherrschen könnte, dann werden wir das Feuer zum zweiten Mal entdeckt haben.
Dr. King hatte Recht, wir müssen die Liebe entdecken. Die erlösende Kraft der Liebe. Und wenn wir das tun, werden wir aus dieser alten Welt eine neue Welt machen. Mein Bruder, meine Schwester, Gott liebt dich. Gott segne dich. Und möge Gott uns alle in diesen allmächtigen Händen der Liebe halten.
Übersetzung und Redaktion: Andreas Krummenacher