Olivier Tambosi bei der Inszenierung von Leoš Janáčeks Oper «Jenufa», Metropolitan Opera, New York, 2016. Foto: Jonathan Tichler.
Wie ein Meteor
Opernregisseur Olivier Tambosi erzählt, wie ihn die Coronakrise trifft
Am 11. März, um 15.00 steht fest, dass meine Inszenierung von Benjamin Brittens «Sommernachtstraum» am Münchner Prinzregententheater nicht stattfinden wird. Die Bayerische Regierung reagiert mit dieser Verordnung auf die Entwicklung der Pandemie Covid-19, die inzwischen auch Deutschland erreicht hat.
Von Olivier Tambosi, Opernregisseur
Ich bin seit Anfang Februar in München. Wir stecken zu diesem Zeitpunkt bereits mitten in den Endproben mit der Bayerischen Theaterakademie August Everding, einer der renommiertesten Ausbildungsstätten für junge Opernsänger*innen. Alle Rollen sind mit hochbegabten jungen Künstler*innen besetzt, die kurz vor dem Ende ihres Studiums und vor vielversprechenden Karrieren stehen. Für mich als Regisseur sind das ideale Voraussetzungen, die jungen Leute sind voller Enthusiasmus und zeigen noch keine Spuren falscher Routine. Nach fünf Wochen intensiver Proben steht die Inszenierung: Bühnenbild, Kostüme, Maske, Licht – alles fügt sich wunderbar zusammen.
Eine Woche vor der Premiere schlägt Corona ein wie ein Meteor: Auf Anweisung des Ministeriums muss der gesamte Lehr- und Probenbetrieb unverzüglich eingestellt werden. Die Situation hat etwas Surreales, denn bis dahin hatte wohl niemand von unserer Produktion dieses Virus als konkrete Bedrohung wahrgenommen. Die Berichterstattung in den Medien war mehr oder weniger an mir vorbeigegangen, so sehr war ich mit der Probenarbeit für diese sowie mit den Vorbereitungen für meine kommenden Produktionen an den Bregenzer Festspielen und der Wiener Volksoper beschäftigt gewesen. Und jetzt das. Keine Premiere? Keine Vorstellungen? Für die jungen Sänger*innen am Beginn ihrer Laufbahn ist der plötzliche Abbruch so kurz vor der Premiere besonders schwer zu verkraften, will man doch unbedingt vor Publikum zeigen, was man unter Einsatz aller Kräfte erarbeitet hat. Der Gedanke an eine Aufführung ohne Publikum, die live-video-gestreamt wird, muss leider auch verworfen werden, da mit Solist*innen, Chor, Orchester und Bühnentechnik weit über hundert Mitwirkende zusammenkämen. Also verabschieden wir uns mit der vagen Hoffnung, die Produktion irgendwann in unbestimmter Zukunft vielleicht erneut realisieren zu können.
Inzwischen erfahre ich von meiner Frau, die zurzeit in meiner Inszenierung von «Sweeney Todd» am Theater Orchester Biel Solothurn die Mrs. Lovett spielt, dass auch diese Vorstellungen abgesagt sind und dass bereits über Grenzschliessungen zwischen Italien, der Schweiz und Österreich nachgedacht wird. Tags darauf kommt die nächste Corona-bedingte Absage: die Lehrproben für eine Professur, auf die ich mich beworben habe, sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Wieder zu Hause in Luzern erfahre ich, dass auch meine aktuelle Produktion mit Studierenden des Schweizer Opernstudios der Hochschule der Künste Bern nicht stattfinden wird. Auch die bevorstehenden Europa- und Amerika-Tourneen der Rockband unserer Tochter werden wegen Corona abgesagt.
Mittlerweile haben Opernhäuser, Theater und Konzerthäuser weltweit den Betrieb eingestellt; insofern bildet unsere kleine Familie die Lage quasi mikrokosmisch ab. Die finanziellen Verluste treffen uns hart, aber wir sind es als freischaffende Künstler*innen im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen gewohnt, mit solchen Situationen umzugehen. Es fällt mir auch nicht schwer, «Social Distancing» zu leben, da ich mich zwischen meinen Produktionen oft in eine Art Klausur begebe. Ich hätte in dieser sehr dichten Spielzeit erst im August eine Pause gehabt, auf die ich mich schon gefreut hatte. Nun zwingt mich die Situation dazu, bereits jetzt innezuhalten, und ich gebe zu, dass es mir momentan gar nicht so schlecht geht damit. Trotzdem: Für uns Künstler*innen bleibt die zentrale Frage, wann es wieder weitergeht – und ob wir bis dann noch unsere Miete zahlen können.