«Franzikus entscheidet erst, wenn er eine Frage durchbetet hat», sagt Roland Juchem. Foto: Manuela Matt
Wie fällt Papst Franziskus Entscheidungen?
Vatikan-Korrespondent Roland Juchem erklärt, wie Papst Franziskus Entscheidungen trifft.
Papst Franziskus irritiert. Vor allem jene, die von ihm klare Entscheidungen erwarten. Warum das so ist, erklärte Vatikan-Korrespondent Roland Juchem an einem Gespräch in Zürich.
Autorin: Sylvia Stam
Papst Franziskus irritiert immer wieder: Er stösst Reformer*innen wie Traditionalist*innen vor den Kopf. Die umstrittene Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie handelt er in einer Fussnote seines Lehrschreibens «Amoris Laetitia» ab, die verschiedene Deutungen zulässt. Bewährte verheiratete Männer – so genannte «viri probati» – lässt er nicht zum Priesteramt zu, obschon eine Mehrheit der Bischöfe an der Amazonas-Synode dafür plädiert hatte.
«Texte von Papst Franziskus entstehen nicht am Schreibtisch, sondern beim Beten» erklärt Roland Juchem, Korrespondent des «Centrum Informationis Catholicum» (CIC*) in Rom, an einem Gespräch mit Raphael Rauch, Redaktionsleiter von kath.ch, Ende Oktober in Zürich. Als zutiefst spiritueller Mensch wolle Franziskus, «dass alles, was wir tun, durchsichtiger wird auf die Botschaft von Jesus Christus hin», sagt Juchem. Darum entscheide er bestimmte Fragen erst, «wenn er sie durchdacht und durchbetet hat. Man versteht Franziskus nicht, wenn man das nicht ernst nimmt.»
Discernimento - Unterscheidung der Geister
Als Beispiel erwähnt er die Diskussion um die «viri probati» an der Amazonas-Synode vom Herbst 2019. Trotz guter Argumente habe Franziskus den Eindruck gehabt, die Diskussion sei noch zu sehr wie in einem Parlament gewesen. «Ihm geht es darum, in den Debatten den Willen Gottes zu erkennen. Wenn der Ton, mit dem die Argumente ausgetragen werden, für ihn nicht dahin deutet, dass man versucht, einander zu verstehen und keine Verlierer zurückzulassen, dann ist die Frage für ihn noch nicht zur Entscheidung bereit», erläutert Juchem, und verwendet dafür den italienischen Begriff «discernimento», das auf Deutsch mit «Unterscheidung der Geister» umschrieben wird.
Juchem führt weiter aus: «Franziskus ist es wichtig, allgemeine Prinzipien anzugeben, aber sie in Einzelsituationen so anzuwenden, dass sie dem Anliegen Gottes, dem Evangelium gerecht werden.»
Deutlich werde dies etwa bei der Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zugelassen werden sollten oder nicht. Mit Bezug auf die entsprechende Fussnote in «Amoris Laetitia» sagt der Vatikankorrespondent: «Franziskus will das nicht global entscheiden, sondern sagt: Das Paar und der Seelsorger müssen in sich gehen.» Wenn sie durch Beten und Überlegungen zum einen oder zum anderen Schluss kämen, dann sei das gut so. Für Papst Franziskus sei es kein Problem, dass deutsche oder italienische Bischöfe nach der Lektüre des Lehrschreibens gesagt hätten, sie würden das so anwenden, während aus Polen Widerstand gekommen sei.
Willkür versus Menschlichkeit
Strukturell denkende Schweizer*innen oder Deutsche empfänden eine solche Mehrdeutigkeit als willkürlich und inkonsequent, so Juchem, der aus Deutschland stammt. Papst Franziskus könne das nebeneinander stehen lassen. Das Zulassen von Ausnahmen bei klaren Regeln öffne zwar der Willkür Tür und Tor, «aber es ermöglicht oft im Einzelnen menschliche Lösungen.»
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