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«Wir alle sind Kirche»
Lesermeinung von Hans H. Weber zum päpstlichen Amazonaspapier.
Immer noch wirft Papst Franziskus’ «Wir alle sind Kirche» innerkirchlich die Frage auf: Wen hat er wohl damit gemeint? «Wir alle», antworte ich, denn Papst Franziskus ist ein Meister der verschlüsselten Aussagen. Ich sehe hinter diesem Papstwort, dass alle, die sich mit der Kirche identifizieren, Verantwortung übernehmen müssen.
An den Generalversammlungen der Aktionär*innen der Firma Aluminium AG kam oft der markige Spruch: «Wir alle sind Aluminium AG»! Alle Anwesenden verstanden das. Wir gehörten dazu, wir trugen Verantwortung und hafteten mit unserem Geld für das Wohl der Firma.
Wenn man behauptet, die Kirche sei keine Art Firma, übersieht man die Kraft der Verantwortlichkeiten. Wenn ich mich mit der Kirche identifiziere, dann in erster Linie als verantwortliches Mitglied dieser «Firma». Dann darf ich mich auch zu Problemen äussern, Stellung zu grundlegenden Fragen nehmen und artikulieren, was mich bedrückt. Warum nehmen die Kirchenaustritte zu? Warum pflegt die Kirche eine unzeitgemässe Hierarchie? Wer innerhalb der Firma Kirche fühlt sich verantwortlich? Warum nehmen ihre «Aktionär*innen» immer weniger Einfluss und verlassen die Firma aus Gründen des Kosten-Nutzenverhältnisses? Sind die in Rom, der Verwaltungsrat der Kirche, blind geworden und hören die Stimme ihrer wichtigsten Partner*innen, der Aktionär*innen, nicht?
Wäre die Kirche eine Aktiengesellschaft, wäre sie längst aufgelöst worden. Was ich sagen will: «Ohne den Leib der Kirchgemeinden und Pfarreien lebt die Seele nicht. Dieser Leib hält die Kirche am Leben». Papst Franziskus zerstört buchstäblich die Diskussion über Zölibat und das Priesteramt für Frauen. Papst Franziskus ist ein Meister der Taktik, über Provokation den Sinn seiner Reformarbeit zu verschleiern. Genau wie 2014, mit «Wir alle sind Kirche». Analysiert man das nach dem Schock seiner kürzlichen Bekanntmachung, kann dennoch ein tieferer Sinn entstehen. Der Widerstand der Kurie, also des Verwaltungsapparates, ist allzeit präsent. Da nützen nur entsprechende Strategeme, um diesen Widerstand zu brechen.
Der deutsche König Friedrich August III. soll 1918 bei seiner Abdankung gesagt haben: «Macht euren Dr… alleine»! Wenn ich das Strategem unseres Papstes entschlüssle, hat er sich mit seinen Worten über Zölibat und die Priesterweihe für Frauen klar positioniert. «Kurie, mach deinen Widerstand allein, das Kirchenvolk von unten her wird es regeln.» Damit ist aber auch klar gemeint, die Basis der Kirche muss Verantwortung übernehmen und sie nicht auf seine Schultern laden. Wie nach «Wir alle sind Kirche» hat ein grosser Teil der Gläubigen den Sinn nicht hinterfragt.
Sehe ich die Kirche wiederum als eine Aktiengesellschaft, haben es die Aktionär*innen in der Hand, ob die Firma gedeiht oder nicht. Wie viele Verwaltungsrät*innen mussten einsehen, verantwortungslos gehandelt zu haben. «Steter Tropfen höhlt den Stein» - die unscheinbare Kraft des Wassers war immer gewaltiger als die Steine es wahrhaben wollten. Pater Martin Werlen hat mich mit seinem Buch «Zu spät» tief beeindruckt. Er erwähnt Menschen, die zu unbeweglichen Salzsäulen erstarrt sind, weil sie wie Lots Weib immer zurückschauen.
Hans H. Weber