Beat Zosso (62), Lehrer und Religionspädagoge. Stellenleiter der kantonalen Fachstelle Religionspädagogik. Schwerpunkte: Aus- und Fortbildung von Katechetinnen und Katecheten, Zusammenarbeit mit den Deutschschweizer Fachstellen in Entwicklungsfragen religionspädagogischer Bildung.

«Wir brauchen Religion…»

05.08.2015

Religionsunterricht

Das neue Schuljahr steht vor der Türe, die Kinder packen ihre Schultaschen und Rucksäcke. Das Gelernte muss in die Köpfe. Der Geist ist mehrdimensional. Der Leiter der «Fachstelle Religionspädagogik», Beat Zosso, ist überzeugt, dass Religionsunterricht wichtig ist. Wie kommt er darauf? Was bewegt ihn persönlich, was hat er in seinem Rucksack?


Von Beat Zosso


Mitte der 70er Jahre liess ich mich in den kirchlichen Dienst nehmen. Motiviert aus dem Kirchenfrühling der «Synode 72» und dem Vatikanum II entschied ich mich zur Katechetenausbildung und schwenkte vom Lehrerberuf auf den Kirchenweg. In meiner Studienzeit wurde ich mit den damals aktuellen Büchern wie «Gottesvergiftung» von Tilmann Moser und «Religionsverlust durch religiöse Erziehung» von Erwin Ringel konfrontiert. Lange Zeit war christliche Erziehung vorwiegend auf Angst, Zwang, Drohung und Schuldzuweisung aufgebaut worden. Die Grundbotschaft der Katechese – aus dem Griechischen «katechein », die frohe Botschaft austönen –, war Jahrzehnte, ja Jahrhunderte lang für viele zur Drohbotschaft missbraucht worden.
Gott wurde als übermächtiger Moralwächter eingesetzt, dessen Verfügungsgewalt bis zur Höllenstrafe für ein sündiges Leben reichte. Ich erinnere mich an die Ängste meiner Mutter, die immer wieder mit dem Drohfinger des Pfarrers auf ihre Verantwortung in der religiösen Erziehung aufmerksam gemacht wurde – und sehr darunter litt.

Von der Angst zur Leere
Das Krankheitsbild heute hat sich radikal verändert. Nicht eine Vergiftung mit übermächtigen Gottesbildern und angstbesetzten Moralvorstellungen kennzeichnet die heutige pädagogische Landschaft, sondern eher das Gegenteil – die Ausblendung oder Marginalisierung von Religion. Nicht die Gottesvergiftung bestimmt das Krankheitsbild heutiger Erziehung, sondern der Gottesentzug. Nicht der Religionsverlust durch religiöse Erziehung scheint jetzt das Problem, sondern der bewusste oder unbewusste Religionsverlust durch den Entzug lebensnotwendiger, religiöser Vitamine in unserer Gesellschaft. Ich stehe in meiner Rolle als Religionspädagoge und Katechet mittendrin. In der Spannung zwischen negativen Religionsbildern und einer doch häufigen Unbekümmertheit in Sachen Religion und Kirche der heutigen Zeit.

Ich bin mir sicher, Kinder und Erwachsene – wir Menschen – brauchen Religion: einerseits zum Aufbau von tragfähigen Weltbildern, Überzeugungen und Wertvorstellungen im Hier und Jetzt, zum andern aber auch zukunftsorientiert, um sich in unserer Gesellschaft zu eigenständigen, selbstverantworteten, reflektierten Persönlichkeiten entwickeln zu können. Es geht um Wahrnehmung, um Achtsamkeit, mehr noch um das Erahnen von Möglichkeiten, die unsere Erfahrungswelt übersteigen und so Raum geben für Sehnsucht, Hoffnung und Trost.

Einfach sein
Wenn ich diese allgemeinen Überlegungen zu Religion und Glaube von unserer christlich-jüdischen Tradition und biblischen Botschaft her betrachte, dann werde ich in den bedingungslosen Zuspruch Gottes hineingenommen, in den Zuspruch des Geliebt- und Gehaltenseins, in das Umwobensein eines göttlichen Garns des Erbarmens wie es Frère Roger Schutz zu pflegen schreibt. Wir dürfen einfach sein. Gott vegisst, was war, damit wir uns auf eine gelingende Zukunft ausrichten können, auf eine Zukunft mit guten Beziehungen, mit Menschen, die mittragen an der Gestaltung einer menschenwürdigen Welt. Mir scheint, das ist das Unterscheidende zu allen nicht-religiösen Weltbildern: Dieses Vertrauen, trotz aller Brüchigkeit unseres Menschseins, das Gott in die Fähigkeiten von uns Menschen steckt.
Das ist es, was mich stärkt und mich weiter motiviert, in der Begleitung von Katechetinnen und Katecheten, von Eltern und Bezugspersonen meine Arbeit zu tun. Trotz Spannung und gelegentlichen Zweifeln – trotz Unzulänglichkeiten einfach sein können – aus einem tiefen Glauben, der mich trägt.

Quelle: Georg Langenhorst, «Gottesentzug», in: «unterwegs», Nr. 1/2015, Mitgliederzeitung «Deutscher Katecheten-Verein» (DKV).