Pater Antonio Grasso kümmert sich um Flüchtlinge. Foto: Pia Neuenschwander
«Wir helfen bei kleinen Dingen»
Die Kirchen engagieren sich in der Flüchtlingshilfe. Was sagt Pater Antonio zu den neuen Bestimmungen des Bundesrates zu Eritrea?
Kehrtwende bei der Aufnahme von eritreischen Flüchtlingen. Der Bundesrat will über 3000 Asylbewerber*innen neu überprüfen und plant deren Rückführung. Die Mission der Italienischsprechenden in Bern setzt sich intensiv auch für eritreische Flüchtlinge ein. Wir fragten beim Leiter der Missione, Pater Antonio Grasso, nach, was das nun für die tägliche Arbeit bedeutet.
«pfarrblatt»: Pater Antonio, Sie und ihre Mission der Italienischsprechenden setzen sich für eritreische Flüchtlinge ein. Nun drohen über 3000 die Ausweisung. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Pater Antonio: Für unser Engagement der Mission der italienisch Sprechenden mit eritreischen Flüchtlingen ändert sich nicht viel. Wir helfen bei den kleinen Dingen: Schulhilfe für Minderjährige, Schulungs- und Informationsabende. Wir sammeln zudem gebrauchte Kleidung für die Bedürfnisse der Asylsuchenden. Das unabhängig von ihrer Nationalität.
Auf Facebook schrieben Sie auf die Bekanntmachung der Überprüfung der eritreischen Asylanträge – ein Aufbau brauche lang, eingerissen sei dieser Aufbau schnell. Warum?
Es dauert lange, eine «Willkommens-Gesellschaft» aufzubauen, während ein paar allgemeine Zeitungsartikel ausreichen, um ein ganzes Volk in ein schlechtes Licht zu rücken. Wir können nicht über die Ablehnung von Eritreern oder Äthiopiern sprechen und als einziges Beispiel jenen Fall des Imams in Zürich nennen, der zum Mord an ungläubigen Muslimen aufrief. Ich denke, es ist nicht richtig, diese Art Journalismus zu betreiben. Der Leser verbindet die Eritreer oder auch die Äthiopier nun automatisch mit diesem muslimischen Imam. Und das ist unpräzis und falsch!
Das Staatsekretariat für Migration sichert zu, dass jeder Fall individuell geprüft werde – entspricht das Ihren Erfahrungen?
Hier hilft ein Blick auf die Flüchtlinge aus Äthiopien. Das zwischen der EU und Äthiopien unterzeichnete Abkommen gilt auch für die Schweiz als Mitglied des Schengen-Raums. Sie besteht darin, Asylsuchende ohne Aufenthaltsrecht oder ohne Recht auf illegalen Aufenthalt nach Äthiopien zurückführen zu können. Ich schließe mich der Stimme der verschiedenen humanitären Organisationen an, die sich gegen dieses Abkommen ausgesprochen haben. Wir wissen, dass die äthiopische Regierung die Menschenrechte nicht achtet. Betreffend Eritreer, ich glaube nicht, dass wir die Eritreer nach Hause schicken können, indem wir ihnen sagen, dass sie die Regierung nicht fürchten sollten, wenn sie gerade deswegen fliehen.
Was löst eine Wegweisung bei den Betroffenen aus? Einfach die Tatsache, dass sie nicht als echte Flüchtlinge anerkannt werden. Wir wissen, dass die Schweizer Regierung die Eritreer nicht als solche anerkennen will.
Wie läuft die Integrationsarbeit mit den Eritreern? Haben sie eine Zukunft in der Schweiz?
Alle Migrantinnen und Migranten haben in der Schweiz eine Zukunft. Es braucht dafür die richtigen Bedingungen. Wie kann man sich beispielsweise in diese soziale und berufliche Realität einfügen, wenn man das Trauma von Kriegen, Missbrauch und Gewalt nicht überwindet? Welche psychotherapeutischen Einrichtungen bietet der Bund an, um traumatisierten Migrantinnen und Migranten zu helfen, dieses Trauma zu überwinden?
Interview: Jürg Meienberg
Hintergrund Eritrea und die geänderte Asyl-Praxis
Menschen aus Eritrea stellen momentan die grösste Flüchtlingsgruppe in der Schweiz, per Ende Februar lebten 30'000 Eritereerinnen und Eritreer in der Schweiz. Ihr Status wird entweder als Flüchtling oder als «vorläufig aufgenommen» bezeichnet.
Eritrea ist ein Staat im nordöstlichen Afrika. Es grenzt an Äthiopien, mit dem es ab 1998 einen zweijährigen Grenzkrieg führte. Hauptstadt ist Asmara, es leben rund 6 Millionen Menschen in Eritrea. Das Land hat formell eine republikanische Verfassung, geführt wird es aber von der autoritären «Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit». Seit vielen Jahren wird das Regime angeführt von Isayas Afewerki. Knapp 50 Prozent der Menschen im Land gehören christlichen Konfessionen an, 50 Prozent dem Islam. Das Uno-Flüchtlingskommissariat spricht von anhaltenden, flächendeckenden und schwerwiegenden Verstössen gegen die Menschenrechte. Eritrea ist eines der ärmsten Länder der Welt.
Seit Anfang April hat der Bundesrat die Asylpraxis nun verschärft. Vorläufig aufgenommene Menschen aus Eritrea sollen konsequent überprüft werden, ihnen droht die Wegweisung. Potenziell sind bis zu 3200 Personen betroffen. Eine Ausweisung nach Eritrea ist nicht mehr generell unzumutbar. Auch künftig muss die Regierung aber in jedem Fall prüfen, ob ein Asylbewerber aus Eritrea an Leib und Leben bedroht ist – nicht aber, ob er in seiner Heimat ein gutes Leben hat. Der Vollzug der neuen Bestimmung ist laut Experten kaum umsetzbar. Eritrea ist nämlich eines der wenigen Länder, die sich bis anhin kategorisch gegen die zwangsweise Rücknahme ihrer Bürger stellen. Allerdings wurde mit dem eritreischen Regime diesbezüglich ein Dialog gestartet. Wird ein Asylgesuch abgewiesen, erhält der betroffene Mensch bloss noch Nothilfe. Kann er oder sie nicht in das Herkunftsland zurückgeführt werden, bleiben diese Menschen in Notunterkünften wohnen. Viele tauchen ab. Das kann unmöglich das Ziel einer humanitären Nation sein.
Äthiopien übrigens hat sich inzwischen bereit erklärt, abgewiesene Asylsuchende aus der Schweiz zurückzunehmen. Grundlage dafür ist eine Vereinbarung zwischen der EU und Äthiopien, die auch für das Schengenland Schweiz gilt. Die Schweiz und Äthiopien hätten sich bei einem «politischen Dialog» im März dieses Jahres darauf geeinigt. Das teilte das Staatssekretariat für Migration (SEM) ebenfalls Anfang April mit.
Andreas Krummenacher