Der 49-jährige Entwicklungsfachmann Bernd Nilles stammt ursprünglich aus Deutschland. Foto: zVg
«Wir sind kein verlängerter Arm, wir sind Kirche»
Bernd Nilles, Leiter des Fastenopfer, spricht über Entwicklungspolitik und die ökumenische Fastenkampagne 2019.
Bernd Nilles leitet seit zwei Jahren das katholische Hilfswerk Fastenopfer. Ein Gespräch über Entwicklungspolitik und die ökumenische Fastenkampagne 2019.
Interview: Andreas C. Müller, Horizonte Aargau (in Kooperation mit «pfarrblatt» Bern)
«pfarrblatt»: Sie leiten seit zwei Jahren das Hilfswerk Fastenopfer und leben seither mit Ihrer Familie in der Schweiz. Sie meinten einmal, dass kein anderes Land so heftig darüber diskutiert, ob die Kirche politisch sein soll.
Bernd Nilles: In Belgien und Deutschland, wo ich vorher gearbeitet habe, scheint es jedenfalls selbstverständlich, dass sich auch die Kirche zu politischen und wirtschaftlichen Themen äussert.
Die Schweizer Bischöfe tun das in der Regel über ihre Kommission «Justitia et Pax». Sollten die Bischöfe nicht in politischen Fragen klar Stellung beziehen?
Es ist gut, wenn Bischöfe sich durch Fachstellen beraten lassen. Wenn sie gut informiert ihre Entscheide fällen und sich zu wichtigen ethischen Fragen äussern, verstärkt das die Wirkung in der Gesellschaft. Dabei gilt es meines Erachtens, im Einzelfall abzuwägen, ob man es der Fachorganisation überlässt, Stellung zu nehmen oder es als Bischofskonferenz auf Grundlage einer Empfehlung der Fachorganisation tut.
Fastenopfer unterstützt aktiv die Konzernverantwortungsinitiative («Kovi»). Inwieweit sind die christlichen Hilfswerke so etwas wie der verlängerte politische Arm der Kirchen?
Wir sind kein verlängerter Arm, wir sind Kirche. Es gibt entsprechend auch nicht nur eine Stimme in der Kirche oder nur eine Meinung. Kirche lebt von Vielfalt. Aber es gibt Grundsätze christlichen Handelns, denen wir Christ*innen uns verschreiben.
Welche sind das Ihrer Ansicht nach?
Solidarität, Menschenwürde und Nächstenliebe. Gerade unser Einsatz für die Konzernverantwortungsinitiative ist verwurzelt in unserem Verständnis, dass die Verwirklichung der Menschenrechte eine Bedingung für ein Leben in Würde und für Gerechtigkeit ist. Und zwar weltweit, weil so ziemlich alles, was wir in der globalisierten Welt tun, konsumieren oder produzieren, weltweite Auswirkungen hat. Ich möchte sicher sein, dass das, was ich in der Schweiz kaufe, nicht das Leben anderer zerstört hat.
Sind weitere politische Engagements im Sinne der «Kovi» geplant?
Selbstverständlich. Auch wenn wir aktuell der Konzernverantwortung viel Aufmerksamkeit schenken, werden wir bei anderen Zusammenhängen globaler Solidarität politisch aktiv werden – wie immer nicht parteipolitisch, sondern sachpolitisch. Parteiisch sind wir zugunsten der Armen. Das gilt auch bei einem weiteren wichtigen Thema: dem Klimawandel.
Ist das politische Engagement eines kirchlichen Hilfswerks in der Bevölkerung eher akzeptiert als dasjenige der Kirchen?
Fastenopfer hat den Auftrag, Armut zu bekämpfen und zu Gerechtigkeit beizutragen. Wenn politische Entscheidungen hier in der Schweiz oder im globalen Süden Armut und Ungerechtigkeit verschärfen oder nicht ausreichend sind, um diese zu überwinden, muss Fastenopfer sich zu Wort melden. Das tun wir seit beinahe 60 Jahren. Die Schweizer*innen spenden für Fastenopfer nicht, damit alles so bleibt, wie es ist, sondern weil sie etwas zum Besseren verändern wollen.
Hat sich die ökumenische Zusammenarbeit bewährt, ist sie gar Modell für weitere ökumenische Projekte?
Ja. Und ja, wir werden mit neuen, gemeinsamen Aktionen überraschen. Der gemeinsame Einsatz für einen Wandel geht weiter, hier im globalen Norden wie im Süden. Dazu gehört eine neue Initiative, bei der wir mit vielen Menschen und Gemeinden den CO2-Fussabdruck in der Schweiz deutlich senken wollen. Lebensstilwandel ist ein wichtiger Akt der Solidarität aber auch wichtig für die Schweiz angesichts der klimatischen Veränderungen hier. Zuletzt haben wir die Online-Plattform «Join my Challenge» auf den Weg gebracht, die auch in diese Richtung wirkt und zudem Menschen für unsere Arbeit interessieren soll.
Was soll die diesjährige Kampagne zur Stärkung der Rechte der Frauen konkret bewirken?
Die 50 Jahre der Ökumenischen Kampagne sind ein guter Anlass, um das Engagement von 50 Frauen zu zeigen, die stellvertretend für alle Menschen stehen, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Als mutige Akteurinnen treten sie für Schwächere ein, für eine Wirtschaft, welche die planetaren Grenzen respektiert und dafür, dass den Menschen Recht und Gerechtigkeit widerfährt. Ihre Arbeit soll hier sichtbar gemacht und gewürdigt werden.
Um den Erfolg dieser Frauen zu sichern, müssen die Rechte der Frauen gestärkt werden. Dafür setzen wir uns ein. Denn sie leiden oft am stärksten unter Diskriminierung und verwehrtem Zugang zu Bildung, zu Rechten, zu bezahlter Arbeit. Nicht zu vergessen die körperliche und sexuelle Gewalt, die hauptsächlich Frauen erfahren. Die Kampagne soll diese wichtige Arbeit in unseren Landesprogrammen in Afrika, Asien und Lateinamerika sichtbar machen, Solidarität verstärken und Unterstützung mobilisieren.
Die Frage, wie politisch Kirche sein soll, sorgte Anfang Jahr für neuerlichen Wirbel, als ein sogenannter Thinktank «Kirche/Politik» um Gerhard Pfister und Béatrice Acklin politische Äusserungen von Kirchenexponenten kritisierte.
Diese Debatte ist wichtig. Die Provokation seitens von Herrn Pfister und Frau Acklin führt hoffentlich dazu, dass sich noch mehr Menschen in der Kirche, aber auch die Bischöfe selbst deutlich zu Wort melden. Ein Thinktank zu Ethikfragen könnte helfen, dem «Schrei der Armen und der Erde» (Laudato Sì) Gehör zu verschaffen. Gerade zu Grundsatzfragen wie Menschenrechten und der Bewahrung der Schöpfung braucht der politische Diskurs Impulse. Diese dürfen wir nicht den Wirtschafts-Lobbyisten überlassen.
Der neue Aussenminister Ignazio Cassis wünscht eine engere Verknüpfung der Entwicklungshilfe mit politischen und ökonomischen Interessen der Schweiz. Welche Konsequenzen wird das für Fastenopfer haben? Ihr Hilfswerk bezieht ja auch Mittel von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA).
Frieden, Gerechtigkeit, Schutz der Menschenrechte, Umweltschutz, Armut überwinden – all das sind Schweizer Interessen. Für diese setzt sich das Parlament, die Schweizer Diplomatie weltweit und eben auch die DEZA ein. Zudem ist die Schweiz wirtschaftlich stark und kann es sich leisten, in der Schweiz ansässigen Konzernen Vorgaben zu machen – wie die Einhaltung der Menschenrechte.
Es macht aber nicht den Anschein, dass es Ignazio Cassis darum geht.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Eidgenössische Aussendepartement und die DEZA 5auch in Zukunft verlässliche Partnerinnen in der Entwicklungszusammenarbeit sein werden. Dass Bundesrat Cassis und ich uns auch mal über ein Thema streiten, gehört zur politischen Kultur dieses Landes. So habe ich ihm bereits zu seinem Besuch bei Glencore in Sambia geschrieben und ihm ein Gespräch angeboten. Dem hat er zugestimmt, es wird voraussichtlich im März stattfinden.
Wofür gibt Fastenopfer am meisten Geld aus?
Für unsere Armutsbekämpfungsprogramme in 14 Ländern, unsere internationalen Programme und unsere Sensibilisierungsarbeit. 2018 haben wir rund 20 Millionen Franken für Projekte der internationalen Zusammenarbeit und Inlandsarbeit aufgewendet. Die Aufwendungen für Administration und Mittelbeschaffung betrugen rund 2,5 Millionen, also ca. 11 Rappen eines Spendenfrankens.
Welches Projekt liegt Ihnen persönlich am Herzen?
Ich bin von allen Projekten überzeugt – sie werden bei uns auf Herz und Nieren geprüft und sie werden von Menschen und Organisationen vor Ort getragen. Ich war kürzlich auf den Philippinen, da haben mich die Reisbäuerinnen und -bauern beeindruckt. Tausende Bauernfamilien haben sich bereits mit unserer Hilfe vernetzt und steigen um auf ökologischen Reisanbau. Und sie bauen nicht nur an, sondern züchten auch neue Reissorten. Diese sind optimal an die lokalen Bedingungen und besser an den Klimawandel angepasst. Denn die Taifune, der Regen und die Dürren werden immer stärker.
Die Bäuerinnen und Bauern haben jetzt höhere Erträge, mehr Sicherheit, müssen keine Schulden mehr machen für Dünger und Pestizide. In Mindanao im Süden der Philippinen haben dadurch bereits um die 5000 Familien ein gutes Leben und ein Auskommen und keine Angst mehr, in extreme Armut abzustürzen. Die Begegnung mit diesen erfolgreich und nachhaltig wirtschaftenden Menschen hat mich begeistert. Dafür lohnt es sich zu arbeiten und Spenden zu sammeln.
Was «opfern» Sie in der Fastenzeit, worauf verzichten Sie?
Am liebsten faste ich bei etwas, das hilft, ein Problem zu lösen. Wie Fleischfasten, um den CO2-Ausstoss zu senken.