Gesang wird heute als wesentlicher Teil der Liturgie verstanden. / Foto: iStock
Wir singen, also sind wir
Was haben ein Popkonzert, ein Fussballspiel und eine Zusammenkunft von Christ:innen gemeinsam? – Alle drei sind Versammlungen, an denen gesungen wird.
Josef Willa
Dass an ganz unterschiedlichen Orten gesungen wird, ist umso bemerkenswerter als es in den heutigen westlichen Gesellschaften nur wenige Räume und Gelegenheiten gibt, ungezwungen und ohne besondere Ansprüche und Erwartungen miteinander zu singen. Niemand muss sich darum sorgen, nicht gut genug zu singen, es geht nämlich nicht um künstlerische «Performance», nicht darum, vor Publikum aufzutreten. Hier sind die Zuhörenden die Singenden selbst. Ihr Gesang ermöglicht es ihnen, Teil des Geschehens zu sein, sich aktiv daran zu beteiligen und sich mit ihm emotional zu identifizieren. Wer einen Song von Taylor Swift mitsingt, outet sich als «Swiftie»; wer im Stadion singt, unterstützt seine Mannschaft und bekennt sich als ihr Fan.
Es geht ums Dabeisein
Auch beim Singen in der christlichen Gemeinde geht es um Partizipation, Identifikation und Bekenntnis. Singend nehmen wir am Gottesdienst teil, wir tragen gemeinsam den Gottesdienst, wir bringen den Glauben gemeinschaftlich zum Ausdruck.
Dabei darf es keinen Gruppendruck geben, die einzelne Person muss in jedem Moment frei sein, ob und wie stark sie sich singend einbringt. Aus dem Singverhalten der einzelnen Person darf nicht auf ihren Glaubensstand geschlossen werden. Es kann die verschiedensten Gründe geben, warum jemand nicht mitsingen möchte. Wie eine Gemeinde als Ganze singt, kann gleichwohl als Indikator für ihre Lebendigkeit betrachtet werden. «Im Singen gibt die Kirche und geben die Christen kund, dass sie glauben, wem sie glauben, was sie glauben und wie sie glauben», sagte der Theologe und Musiker Philipp Harnoncourt.
Das gemeinsame Singen zieht sich durch die ganze jüdisch-christliche Geschichte. Es versteht sich als geistgewirkte Antwort auf eine miteinander geteilte, existenzielle Erfahrung mit Gott. Was nicht mit Worten allein gesagt werden kann, das verlangt nach Gesang. Der kann die Form des Lobpreises und Dankes, der Bitte oder auch der Klage annehmen. Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962– 1965) hat den Stellenwert des gemeinsamen Singens neu hervorgehoben. Der Gesang wird nicht mehr länger als ausschmückendes Beiwerk oder Frömmigkeitsübung zum Gottesdienst, sondern als wesentlicher Teil der Liturgie selbst verstanden. Zum Aufschwung des Gemeindegesangs hat auch die Zulassung der Muttersprachen im Gottesdienst beigetragen.
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