Der Karteikasten hat nicht ausgedient, aber Rolf Fäs und Alexandra Mütel arbeiten heute hauptsächlich am Computer. Foto: José R. Martinez

Wo Bischöfe zu den Akten gelegt werden

Im Archiv des Bistums Basel gibt es keine verschlossenen Schränke

Es gibt hier weder Hinweise auf vernichtete Akten noch verschlossene Schränke: Das Archiv des Bistums Basel erhält in der Missbrauchsstudie gute Noten. Ungeachtet davon: Der Computer macht das Archivieren immer anspruchsvoller.

Von Dominik Thali

Als die Universität Zürich am 12. September die Pilotstudie zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Umfeld veröffentlichte, richtete sich der Blick auch auf die kirchlichen Archive. Die bis heute gültigen Bestimmungen zur Aktenvernichtung behinderten nicht nur die Forschung, heisst es in der Studie, sondern könnten auch «dramatische Auswirkungen auf die Betroffenen» haben, die ihre Akten nicht mehr oder nur unvollständig einsehen könnten.

Keine Dossiers vernichtet

Tatsächlich hält Absatz 489 des Kirchenrechts fest: «Jährlich sind die Akten der Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren, deren Angeklagte verstorben sind oder die seit einem Jahrzehnt durch Verurteilung abgeschlossen sind, zu vernichten; ein kurzer Tatbestandsbericht mit dem Wortlaut des Endurteils ist aufzubewahren.» Das Kirchenrecht verlangt auch ein Geheimarchiv. Die Dokumente darin seien «mit grösster Sorgfalt» aufzubewahren.

Rolf Fäs ist erleichtert, dass die Schweizer Bischöfe und Ordensoberen nun in einer Selbstverpflichtung erklärt haben, Absatz 489 nicht mehr anzuwenden. Er, seit 2001 Archivar des Bistums Basel in Solothurn, versichert, noch kein Dossier vernichtet zu haben. Das sei auch unter seinen Vorgängern nicht geschehen. Zudem hat der Begriff Geheimarchiv für Fäs nichts mit Verbergen oder Vertuschen zu tun. Er legt ihn so aus, dass es der Kirche beim Erlass dieser Bestimmung vorab um Persönlichkeitsrechte gegangen sei. «Heikle Unterlagen mussten schon immer vor unbefugtem Zugriff geschützt werden.»

Ob dies damals die Absicht war, ist heute einerlei. Fäs erinnert sich an einen einzigen Schrank, der bei seinem Stellenantritt als Geheimarchiv bezeichnet worden sei. Diesen gibt es längst nicht mehr, der Inhalt wurde vor 20 Jahren in das reguläre Archiv überführt. Der «gesonderte Bestand», von dem die Studie spricht – Akten von beschuldigten und verurteilten Priestern –, besteht aus fünf Kartonschachteln, die auf einem Regal neben Dutzenden weiterer Schachteln mit Personaldossiers lagern. Um ein genaueres Bild über die Missbrauchsfälle im Bistum Basel zu erhalten, müssten diese und weitere Bestände noch durchforstet werden.

Schrank an Schrank

Rolf Fäs, der Historiker, und seine Mitarbeiterin Alexandra Mütel, die Kunstgeschichte und Archivwissenschaft studiert hat, sind gespannt, was die Fortsetzung der Studie noch zutage befördert. Das Basler Bistumsarchiv erhält schon in der Pilotstudie gute Noten. Die Verfasserinnen und Verfasser rühmen den «vollständigen und unkomplizierten Zugang». Die Archivräume entsprächen den höchsten Standards der Aufbewahrung. Nach dem Um- und Neubau vor vier Jahren lagern die Bestände vor allem in zwei Depoträumen. Hier ist es permanent 17 Grad kühl bei 43 Prozent Luftfeuchtigkeit, Rollregal reiht sich an Rollregal.

Ein paar Laufmeter Röschenz

1828 wurde das Gebiet des Bistums Basel neu festgelegt und der Bischofssitz nach Solothurn verlegt. Das Archiv ist für die Überlieferung des Schriftguts seit jenem Jahr zuständig. Da finden sich Unterlagen zur «Synode 72» ebenso wie zum Fall Röschenz oder ist ein Regal mit «Bestand Domkapitel» angeschrieben. An der Betonwand hängen die gemalten Porträts der Bischöfe von Streng, Hänggi und Wüst.


Wie viele Akten und Laufmeter das alles ausmacht? Fäs weiss es nicht. Nur noch, dass beim Neubau von drei bis vier Kilometern Regalen die Rede gewesen sei. Zielsicher greift er dann die Schachtel mit der Urkunde heraus, mit der Papst Leo XII. am 7. Mai 1828 die Wiederherstellung und Neuumschreibung des Bistums Basel bestätigte. Derweil zeigt Mütel aus einem Karton mit neueren Beständen ein Schreiben besorgter Katholikinnen und Katholiken aus einer Berner Diasporapfarrei von 1966, in der diese beim damaligen Bischof Franziskus von Streng den Weggang ihres «hochverdienten Herrn Pfarrers» beklagten. Das eine Dokument ist ein gesiegeltes Pergament, das andere ein getippter Brief auf dünnem Papier. «Beide sind als Archivalien gleich wertvoll», betont Mütel. Manche Leute dächten beim Stichwort Archiv nur an alte Verträge und dergleichen. Doch ein Geschehen dereinst nachvollziehbar zu machen, hänge nicht von der Form ab, sondern von der Aufbewahrung selbst und der Ordnung.

Was digital archivieren?

In dieser Hinsicht wird es freilich immer anspruchsvoller. «Je näher wir der Gegenwart sind, desto mehr», sagt Mütel. «Wir kämpfen mit der Masse», fasst Fäs zusammen. Seit das Bistum vor gut fünf Jahren begonnen hat, die laufende Ablage nur noch elektronisch zu führen, stellt sich die Frage täglich: Welche E-Mail muss gespeichert, welches Dokument wo abgelegt und mit welchem Schlagwort versehen werden? Das ist entscheidend, wenn nach zehn Jahren ein Dossier aus der laufenden Ablage ins neue digitale Archiv überführt werden soll.

Das Bewusstsein schärfen

2028 wird dies erstmals der Fall sein. Weil bis dahin die Technik noch Fortschritte machen wird, wissen sie noch nicht, wie sie dann vorgehen werden. Sicher ist bloss: Der Computer nimmt Arbeit ab, aber keine Entscheide. Die Mitarbeitenden bleiben selbst veranwortlich dafür, was abgelegt wird – und dereinst archiviert.

Fäs muss das Bewusstsein dafür immer wieder schärfen. «Wir stützen uns heute auf die alten Unterlagen. Sollen unsere Nachkommen sich dereinst auf die Unterlagen von heute verlassen können, müssen diese von Beginn weg richtig abgelegt werden.»

Erstpublikation im Kantonalen Pfarreiblatt Luzern