Jürg Lietha gibt an Silvester nach 37 Jahren in der Dreif sein Abschiedskonzert. Foto: Vera Rüttimann

«Yesterday» auf der Orgel

Abschiedskonzert von Jürg Lietha, Organist in der Dreif

Jürg Lietha spielt seit 37 Jahren als Organist in der Berner Dreifaltigkeitskirche. An Silvester spielt er dort sein Abschiedskonzert.

nor Vera Rüttimann

Und dann legt er an der Orgel los. Die Toccata von Charles-Marie Widor steht auf dem Programm. Die Finger und Füsse gleiten flink über die Tasten. «An kirchlichen Hochfesten kann man mit der Orgel so richtig rauschen», sagt Jürg Lietha. An diesem Vormittag ist er zum Üben an der Orgel in der Dreifaltigkeitskirche. Der 70-jährige kennt sein Instrument: Er nennt diese Orgel eine der «schönsten in Bern und in der Region.» Sie habe einen schönen abgerundeten Klang, vielseitige und kräftige Klangfarben sowie eine grosse Feinheit in den leiseren Registern.

Kraftort «Dreif»

An Silvester nun das Abschiedskonzert in der «Dreif». Auf dem Flügel wird Jürg Lietha Werke von Chopin und von Schubert spielen. Auf der Chororgel einen Johann Pachelbel. Auf der Hauptorgel schliesslich Werke von Mendelssohn, Liszt und ein selbstkomponiertes Stück.


In Gedanken an seinen offiziellen Abschied als Organist an der «Dreif» befalle ihn ein wenig Wehmut: «Ich liebe diese Orgel und diese Kirche», betont er. Er sei, so Jürg Lietha, immer gerne in dieser Kirche gewesen. «Es ist eine warme Kirche. Man spürt, dass viele Leute mit ihren Sorgen und Nöten hierherkommen. Es gibt hier eine besondere Kraft.» Auch für ihn selbst sei diese Kirche immer eine Rückzugsoase gewesen. «So wie es aussieht», schiebt Lietha nach, «darf ich hier auch weiterhin Aushilfsdienste machen.»

«Tears in Heaven» auf der Orgel

Jürg Lietha ist einer der wenigen Organisten in der Schweiz, die auch Jazz und Gospel auf der Orgel spielen. Er spielt auch Stücke wie «Yesterday» von den Beatles, «I am sailing» von Rod Stewart oder «Tears in Heaven» von Eric Clapton. Solche Stücke, sagt Lietha, seien begehrt in Kirchen und werden sogar gewünscht.

Wie kommt er dazu, Beatles auf der Orgel zu spielen? Musikalisch sei er zweisprachig aufgewachsen. Der Vater eher klassisch orientiert. Die Mutter mochte Volksmusik, Dixieland und Schlager. «So habe ich von früh her mehrere Stilrichtungen aufgesogen und auch gelernt», sagt Lietha, der später auch Jazzpianist wurde. Auf der Orgel habe er dann auch begonnen, Jazz, Gospel und Blues sowie Pop zu spielen.

Nicht alle fänden das gut: „Es gibt auch Organisten und Kirchgänger, die sagen: Das passt nicht in eine Kirche.“ Gewiss, sagt Jürg Lietha, passe nicht alles zu einem Gottesdienst: «Man muss aufpassen, was und wie man es bringt. Kirchenmusik muss eine spirituelle Note haben. Die Kirche ist keine Disco.» Die Zeit, wo nur Klassisches gespielt wird in Kirchen, sei aber lange vorbei. «So wie sich die Kirche stets verändert hat, blieb auch die Kirchenmusik nie dieselbe.»

Die «Bewusstseins-Sonate»

Mit Musik, so Jürg Lietha, könne man Leute erreichen, die man sonst nie erreichen könne. «Mir wurde früh klar, was Musik bewirken kann. Sie ist eine Schwingung, die aus dem Kosmos, vom Göttlichen, kommt. Sie kann innere Prozesse anregen.»

In seiner Zeit als Organist an der «Dreif», habe er viel erlebt: Grossartige Gottesdienste und berauschende Konzerte. Einen Gospelchor habe er auch gegründet. Der bestehe noch heute. «Ich konnte zudem viele Jugendliche für die Musik begeistern.»


Eines seiner prägendsten Erlebnisse in dieser Kirche war jedoch ein Erlebnis mit einer Einzelperson. «Ich war am Üben einer Mendelssohn-Sonate und machte gerade eine Pause. Da rief jemand von unten: «Ahh!» In der leeren Kirche stand ein junger Mann, der zu mir hochschaute.  «Hat es Ihnen gefallen?» - «Wahnsinnig! Was ist das? Ich habe nicht gewusst, dass es sowas gibt.» Der Mann habe zu ihm gesagt: «Da wird einem erst klar, dass man ein Bewusstsein hat.» Seitdem sage er zur 3. Mendelsohn-Sonate nur noch die «Bewussstseins-Sonate».

Was eine Orgel eigentlich könne und was ein wirklich guter Organist ausmache, habe er als junger Mann im Schaffhauser Münster erlebt. Ein Erweckungserlebnis. «So einer», sagt Jürg Lietha, «wollte ich auch werden.»

 

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