«Der Mensch ist ein freies Wesen; er bestimmt sein Geschick in Freiheit und ist fähig, auf seine innere Stimme zu hören, sich dem göttlichen Einfluss zu unterwerfen.» Hans. H. Weber. Foto: C. Burghagen

Zeitalter des Schulterklopfens

13.12.2017

Vom Automechaniker über den Nachrichtendienst in Washington D.C hin zum Theologiestudium: Hans H. Weber, Oekumene-Beauftragter in Thun, erzählt aus seinem Leben.

Um das Leben und Wirken von Hans H. Weber, dem Beauftragten der Ökumene der Thuner Pfarrei St. Marien, zu beschreiben, braucht es einen langen Atem. Vom Automechaniker bis zum Assistenten des Verteidungsattachés an der Schweizer Botschaft in Washington D. C. reicht sein Berufsleben. Das Hinterfragen nennt er seine Leidenschaft.


«pfarrblatt»: Herr Weber, wann haben Sie begonnen, Dinge und Sachverhalte zu hinterfragen?

Hans H. Weber: Ich habe schon im frühen Kindesalter unzählige Wecker und Spielzeugmotoren in Einzelteile zerlegt. Sehr früh habe ich entdeckt, dass ohne Kraft ein Werk nicht läuft. Doch dabei grübelte ich, warum die Zeit weitergeht, wenn die Uhr nicht mehr läuft?

Ihr berufliches Wirken ist aussergewöhnlich. Liegt das in der Familie?

Mein Urgrossvater war ein begnadeter Ingenieur. Er baute in seiner Maschinenfabrik bis 1912 Autos, Lastwagen und Verbrennungsmotoren. Er war ein Mensch, der alles probieren musste. Ich sollte in seinem Sinne ein Studium aufnehmen, doch ich habe mich dagegen gewehrt und lernte Automechaniker mit dem Ziel Flugzeugmechaniker zu werden.
Doch am Ziel, war ich dann wieder nicht zufrieden. Vom Flugzeugmechaniker zum Elektroniker, vom Elektroniker zum Informatiker. Bis 2010 befasste ich mich als Berufsoffizier der Armee mit Führungs- und Informationstechnik, was mich nach Washington D.C. zum Nachrichtendienst brachte.

Doch Sie befinden sich jetzt im Unruhestand. Wie kam es dazu, dass Sie ein Studium der Dogmatik begannen?

Der Informatiker bewegt sich in einer dualen Welt. Es existieren nur zwei Ziffern: 0 und 1. Rational, einfach, logisch. Das Gesetz der Kausalität in der Physik ist klar. Auf Ursache folgt Wirkung. Ab 2013 wollte ich endlich ergründen, warum die Zeit weitergeht, wenn die Uhr nicht mehr läuft. Eine logische Kausalität, die ohne einen Ausbruch aus der Dualität in die Trinität nicht zu beantworten ist. Ich schrieb mich als Hörer an der theologischen Fakultät der Uni Freiburg Fachgebiet Dogmatik, ein.
Ich bin jetzt im neunten Semester. Die Antwort auf das Wirken der Kausalität, wenn sie nicht nur aus der Dualität betrachtet wird, liegt im Erkennen des göttlichen Geheimnisses in unserem Schöpfungsraum. Das krönende Erlebnis während der letzten Lebensphase ist für mich der Entschluss, das Wissen über die Dualität mit dem Wissen der Trinität zu verknüpfen.

Sie bezeichnen sich als theologischer Querdenker und provozieren auch gern mal?

Ich zitiere gerne aus der «Hirte des Hermas» von 145 n. Chr.: «Um der Kirche willen wurde die Welt erschaffen!» Eine starke Provokation. Daraus lässt sich folgern, dass ich der Kirche teilhaftig bin. Damit ist das Leben an die Schöpfung gebunden, da der Heilige Geist, die Dreifaltigkeit Gottes, die Schöpfung eingeleitet hat.
Dadurch, dass diese Welt Kirche ist, bekennt sie sich zu allem irdischen – den guten wie den schlechten Eigenschaften. Ich distanziere mich damit von der Auffassung, dass sich die Kirche auf das Jenseits auszurichten hat.

Wie haben sie das Jubiläumsjahr «500 Jahre Reformation» erlebt?

Das Jubeljahr 2017 hat bestimmte Probleme der Kirchen untereinander zutage gefördert. Die Initialzündung zu dieser Thematik hat mir die TV-Übertragung einer gemeinsamen Reformationsfeier in Berlin gegeben. In einem bestens ausgeleuchteten, feierlichen Kirchenraum sassen die Gäste in einer Art hierarchischen Aufteilung in würdevoller Haltung vor den Zelebranten.
Protestantische und katholische Bischöfe im Ornat. In ernster Erstarrung, Seite an Seite. Dahinter politische Grössen in Andacht versunken. Dann folgte Prominenz aus Gesellschaft, Adel und Wirtschaft. Aber: Der ganz normale, profane Kirchenbesuchende stand wartend vor geschlossener Kirchentür.

Was folgern Sie daraus?

Das Gesehene und das Nichtgesehene brachten mich in die Wirklichkeit unserer Kirchen zurück. Die, die im Lichte stehen, sind sich längst im Klaren, dass zwischen den beiden grossen Konfessionen umfassende Gemeinsamkeiten bestehen. Das Zeitalter zum gegenseitigen Schulterklopfen ist angebrochen. Wieso sich die Kirchen einst spalteten, ist heute glasklar. Darum haben die, die im Lichte stehen, die Bürde der Wahrheit zu tragen.

Was ist mit jenen vor der Kirchentür in Berlin? Sie nennen sie «die im Dunkeln stehen»?

Die spielen in einer ganz anderen Liga. Es sind die, die am Sonntag zur Messe gehen und anschliessend zum Kaffeeklatsch oder Stammtisch. Sie sind das wichtigste, was die im Licht Stehenden haben. Wo wäre ein Priester, Gemeindeleiter, Laienmitarbeiter ohne die Kirchgänger?
Oft höre ich aus Kreisen älterer Kirchgänger, dass reformierte Mitchristen an der Eucharistie und der Kommunion teilnehmen. Bewertungen kommen aus beiden Lagern. Katholiken fühlen sich diskriminiert und sehen eine gewisse Entweihung der Kommunion. Reformierte äussern, dass sie das ergreifende Erlebnis einer Kommunion nicht missen möchten, auch wenn sie sich im Klaren sind, gegen eine Weisung zu verstossen. In den unteren Stufen der Hierarchie lösen sich die Probleme eben nicht automatisch auf.

Schenken Sie uns ein Fazit?

Natürlich! Das Element der Kausalität wirkt überall. Es ist ein Mittel zum Zweck der Posi- tionierung. Der Mensch ist ein freies Wesen, er bestimmt sein Geschick in Freiheit und ist fähig, auf seine innere Stimme zu hören, sich dem göttlichen Einfluss zu unterwerfen. Es sind zwei grosse Tugenden, die ich christlich nenne: die Freiheit und der Gehorsam. Gehorsam als zweite Tugend, denn diese kann nur über die Freiheit verwirklicht werden. Die Folgen des Tuns und Unterlassens sind ohnehin nicht berechenbar. Was ich nicht ausstehen kann sind Sätze wie: «Das haben wir doch noch nie so gemacht.»

Interview Christina Burghagen

 

Zur Person
Hans Heinrich Weber-Hediger wurde 1941 in Menziken (AG) geboren. Sein kirchliches Engagement umfasst die Ökumene und die Mitarbeit bei Diakon Patrick Erni, Pfarrei St. Marien in Thun. Er leitet das Projekt Utopia, das die Synergien des Vereins «Kirchen in Thun» (AKiT) und der evangelischen Allianz (Earth) für gemeinsame Aktionen und Projekte unterstützt. Bis 2008 gehörte er als Informatiker zum Forschungsteam für Militärische Informations- und Führungstechnik in Washington D. C. Sein Sohn Hans Heinrich Weber ist Advokat und Fürsprecher in Thun, Sohn Christoph ist Professor der Philosophie an der Universität Denton/Texas. Hans H. Weber lebt mit seiner Frau Anne in Goldiwil.