Einen Gang zurückschalten und sich der Umwelt staunend nähern. Foto: fotolia, candy1812

Zukunftsforum Bern

04.11.2015

Jedem Bauern ein Stück Land

«Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle.»


Mit diesen Worten lädt Papst Franziskus im Schreiben Laudato si’ zu einer gründlichen Erörterung tragfähiger globaler Entwicklungspfade ein. Diese werden in Umrissen schon erkennbar. Dagegen sind die Entwicklungspfade der letzten Jahrzehnte, auch für die Schweiz, längerfristig nicht tragbar: 1950 gab es hier 150 000 Autos, heute sind es über vier Millionen; der Flugverkehr verzeichnete wenige 100000 Flüge, heute sind es 40 Millionen; die verbaute Fläche hat sich verdoppelt, der Energieverbrauch hat sich verfünffacht ...

Einfachheit und Nähe

Um wieder in eine tragfähige Balance zu gelangen, ist das ökologische Gleichgewicht in seinen verschiedenen Ebenen zurückzugewinnen: «...das innere Gleichgewicht mit sich selber, das solidarische mit den anderen, das natürliche mit allen Lebewesen und das geistliche mit Gott», schreibt der Papst. Dabei dient die Nähe zu allem Lebendigen von Franz von Assisi als Orientierungshilfe, wobei sie ins 21. Jahrhundert übertragen werden muss. Diese Überzeugung darf nicht als unvernünftige Schwärmerei abgetan werden. «Wenn wir uns der Natur und der Umwelt ohne diese Offenheit für das Staunen und das Wunder nähern... wird unser Verhalten das des Herrschers, des Konsumenten oder des blossen Ausbeuters der Ressourcen sein ...», meint Papst Franziskus.

Anderes Wachstum, anderer Fortschritt

Das menschliche Wirtschaften muss sich in die natürlichen Rhythmen einpassen. Papst Franziskus schlägt vor, einen kleineren Gang einzuschalten. Nicht um den Weg zurück in die Steinzeit einzuschlagen, sondern für einen neu definierten Fortschritt und für eine für alle tragfähige Entwicklung. Franziskus schreibt: «Wir müssen uns jedoch davon überzeugen, dass die Verlangsamung eines gewissen Rhythmus von Produktion und Konsum Anlass zu einer anderen Art von Fortschritt und Entwicklung geben kann. (...) So könnten der übertriebene technologische Einsatz für den Konsum gesenkt und die Mittel für die Behebung der unerledigten Probleme der Menschheit angehoben werden.»
Grundlage der Realwirtschaft sind die kleinen und mittleren Unternehmen. Sie ermöglichen eine vielseitige Produktion und deren Entwicklung. Dagegen ist der Finanzmarktkapitalismus als System zu überprüfen und zu reformieren. Auf eine einfache Formel reduziert, könnte man sagen: Jeder Campesino sollte ein eigenes Stück Erde zum Bewirtschaften zur Verfügung haben.

Soziallehre 21

Die Überlegungen von Papst Franziskus wurzeln in der katholischen Soziallehre, genauer in deren Grundsätzen der Personalität (Mensch im Zentrum), der Solidarität (Rücksicht auf und Zusammenarbeit mit den andern), der Subsidiarität (vor Ort selber tun, was möglich ist; in grösseren gesellschaftlichen Einheiten nur das tun, was dort besser getan werden kann) und des Gemeinwohls (das Wohlergehen aller im Blick). Franziskus betont wiederholt, dass neben der geschundenen Natur insbesondere die Armen Richtschnur unseres Handelns sein sollen und unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen. Hinzu kommen zwei neue Grundsätze: jene der ganzheitlichen Ökologie (alles hängt mit allem zusammen) und der Generationengerechtigkeit (die Auswirkungen unseres Handelns auf künftige Generationen sind stets mitzudenken und zu verantworten). Diese nachgeführte Soziallehre gilt es jetzt einund auszuarbeiten. Dazu muss die seit Jahrzehnten (fast) verstummte sozialethische Stimme der Kirche glaubwürdig wiedergefunden und aufgebaut werden.
Die Pfade für eine zukunftsfähige weltweite Entwicklung, die Papst Franziskus umreisst, sind in vielen Punkten verwandt mit den globalen Nachhaltigkeitszielen derUNO, die im September in New York verabschiedet worden sind. Papst und UNO entwerfen eine Weltentwicklung, die langfristig tragfähig ist und in der es für alle Platz hat. – Das ist umwerfend neu und ermutigend.

Robert Unteregger
Mitgründer der Stiftung Zukunftsrat, Mitglied der sozialethischen Kommission
«Justitia et Pax» der Schweizer Bischofskonferenz

Zukunftsforum Bern
Die Katholische Kirche Region Bern diskutiert die Umweltenzyklika «Laudato si’» von Papst Franziskus in einem Zukunftsforum. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Expertinnen und Experten: Thomas Wallimann (Institut für Sozialethik der KAB), Kurt Aufdereggen (Umweltbeauftragter, oeku), Andrea Meier (Theologin, Fachstelle Kinder und Jugend), Elisabeth Bernet (Theologin/Autorin), Franz Stadelmann (Naturwissenschafter und Mitglied Grosser Kirchenrat GKG Bern).
Ort: Pfarrei St. Marien, Wylerstrasse 26, Bern.
Datum: Freitag, 13. November, 18.00–20.30.