«Es kommt darauf an, mitmenschliches Verhalten in gute Bahnen zu lenken.» Carola Meier-Seethaler. Foto: Pia Neuenschwander (2015)
Zum Tod von Carola Meier-Seethaler
Die Philosophin, Psychotherapeutin und Autorin starb am 19. Juli im Alter von 95 Jahren.
Die Philosophin, Psychotherapeutin und Autorin Carola Meier-Seethaler ist am 19. Juli 2022 im Alter von 95 Jahren in Bern gestorben. Früh diskutierte sie Geschlechterrollen und analysierte deren Wurzeln interdisziplinär. Aus der katholischen Kirche ist sie am Holocaust-Gedenktag 2009 ausgetreten.
Von Andreas Krummenacher
Carola Meier-Seethaler studierte zunächst Philosophie, doktorierte 1950 in philosophischer Ethik. Eine akademische Karriere blieb ihr verwehrt. Sie studierte anschliessend Psychologie und bildete sich zur Psychotherapeutin weiter. Ab 1978 hatte sie eine Praxis in Burgdorf, ab 1984 in Bern.
Emanzipation
1988 erschien ihr bedeutendstes Buch «Ursprünge und Befreiung. Eine dissidente Kulturtheorie». Dieses Werk hat sie 2011 vollständig überarbeitet, dabei hat sie die neuesten Erkenntnisse auf den Gebieten der Archäologie, der Kulturgeschichte und der Soziologie einbezogen. Ergänzt hat sie ein Kapitel mit einer kritischen Analyse der wirtschaftspolitischen und der religiös-moralischen Verwerfungen der Gegenwart.
Es ging ihr, so sagte sie einmal gegenüber dem «pfarrblatt», «nicht in erster Linie um die Emanzipation der Frau in einem politisch-rechtlichen Sinn, sondern um eine psychische Emanzipation aus den Rollenverkrustungen, bei der die Emanzipationsleistung des Mannes ebenso gefordert ist.»
Die Aufgabe bestehe darin, die Wurzeln der heutigen Geschlechterrollen und die unbewussten Motivationen für deren Aufrechterhaltung aufzudecken.
Ethik und Religion
Im Interview mit dem damaligen «pfarrblatt»-Redaktor Jürg Meienberg in der interreligiösen Zeitung zVisite sagte Carola Meier-Seethaler 2015, Ethik habe für sie Vorrang vor der Religion: «Doch gibt es in allen Religionen Handlungsanweisungen, die das mitmenschliche Verhalten in gute Bahnen lenken können. Darauf kommt es an und nicht auf die Vorstellung der ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits.» Im Zentrum stand für sie das Hier und Jetzt, «für mich gibt es kein Leben nach dem Tod.»
Sie sei «traditionell katholisch aufgewachsen». Erst mit 35 bis 40 Jahren habe sich ihr Gottesbild verändert: «Das Verhalten, das Umgehen miteinander hier und heute wurde wichtiger – deshalb bin ich auch keine prinzipielle Gegnerin der Kirchen, sondern unterstütze ihr soziales Engagement zu Gunsten der Schwachen und des friedlichen Miteinanders.»
Kirchenaustritt
2009 ist sie aus der katholischen Kirche ausgetreten. Dieser Schritt sorgte für Aufsehen, denn sie tat das mit einem offenen Brief im «pfarrblatt» Bern. Es ging damals um die Annäherung von Papst Benedikt XVI. an die Pius-Brüder und deren Bischof Richard Williamson, einem bekennenden Holocaustleugner. Das habe für sie, neben weiteren antijüdischen Tendenzen etwa in der Liturgie und den «bedauerlichen Tiefschlägen gegen die Befreiungstheologie», das Fass zum Überlaufen gebracht.
Sie habe diesen Schritt nicht bereut, sagte sie Jahre später gegenüber dem «pfarrblatt». Heimweh habe sie nicht nach dem Religiösen. Heimweh komme «eher auf nach all den bereits verstorbenen Kolleginnen und Kollegen und den früheren Grössen in der Geisteswissenschaft. Diese Anregungen fehlen mir. Wissen Sie, ich habe an freien Beerdigungen von Freunden teilgenommen und erlebt, wie tief empfunden und mit grosser Würde Abschied genommen wurde.»
Abschied
Sie habe ihre Beerdigung «in allen Details vorbereitet. Ich will keinen Pfarrer. Es gibt kaum mehr gehaltvolle Predigten. Kurt Marti war da ein grosses Vorbild. Ich will im Grab meines Mannes bestattet werden, und Freunde und Verwandte werden das Abschiedsritual halten.»
Die Abschiedsfeier für Carola Meier-Seethaler fand am 25. Juli in der Kapelle des Schosshaldenfriedhofs in Bern statt. Sie hinterlässt zwei Töchter.
Mehr zum Thema: «Mein Gottesbild veränderte sich», Interview mit Carola Meier-Seethaler, «pfarrblatt» Bern, 28. Oktober 2015