Albert Anker, Die Armensuppe in Ins II, 1893, Öl auf Leinwand, 85 x 137 cm, Kunstmuseum Bern, Staat Bern. Foto: wikimedia commons
Zurück zur Armenpflege?
Eine neue Gesetzesrevision zur Sozialhilfe tritt voraussichtlich ab Januar 2017 in Kraft. Zeichnet sich damit eine schleichende Umkehr zur reinen Überlebenshilfe ab, indem bedürftige Menschen zunehmend auf die private und kirchliche Wohltätigkeit angewiesen sind? Antworten von Andrea Lüthi, Geschäftsleiterin der Berner Konferenz für Sozialhilfe.
Fasa: Wie hoch sind die Sozialhilfekosten im Kanton Bern?
Andrea Lüthi: Die Kosten für die individuelle Sozialhilfe betrugen im vergangenen Jahr ca. 445 Mio. Franken (Kanton und Gemeinden). Dieser Betrag sagt jedoch wenig aus. Die Sozialhilfekosten machen nämlich schweizweit nur ca. 1,6% dieser Kosten aus. Weit grössere Anteile fliessen in die Altersvorsorge, ins Gesundheitssystem und andere Sozialversicherungen.
Wer bezieht Sozialhilfeleistungen? Knapp ein Drittel sind Kinder und Jugendliche. Ebenfalls stark vertreten sind Alleinerziehende (rund 19%). Stossend ist die Tatsache, dass fast 30% der Sozialhilfebeziehenden erwerbstätig sind, wovon wiederum ca. 30% Vollzeit arbeiten! Diese «Working Poor» haben oftmals Jobs in Tieflohnsektoren oder befinden sich in prekären Arbeitsverhältnissen, wie Arbeit auf Abruf etc.
Was umfasst der Grundbetrag?
Der Grundbedarf für den Lebensunterhalt beträgt für eine Einzelperson 977 Franken pro Monat, für eine vierköpfige Familie 2090 Franken. Dieser umfasst Lebensmittel, Kleider, Energieverbrauch, Verkehrsauslagen, Telefonkosten, Billag-Gebühren, Sport oder Körperpflege. Der Auftrag lautet, 10%der Sozialhilfekosten zu sparen. Dies soll erreicht werden, indem der Grundbedarf für junge Erwachsene gekürzt wird, stärkere Sanktionen möglich werden, situationsbedingte Leistungen begrenzt und Zulagen nur zurückhaltend gewährt werden. Zudem wird der Teuerungsausgleich nicht automatisch gewährt.
Was wären die Folgen?
Ein Grossteil der Sozialhilfebeziehenden verfügt gar nicht über die Ressourcen, die in der heutigen Arbeitswelt gefragt sind. Ihnen fehlt es an den nötigen Sprachkenntnissen, an einer beruflichen Grundausbildung, an einem stabilen sozialen Netz oder sie sind gesundheitlich eingeschränkt. Tiefere Leistungen können in solchen Situationen zu einer verstärkten sozialen Ausgrenzung führen und damit die Zukunftsperspektiven verschlechtern.
Wie kann man solidarisch auf diese Herausforderungen reagieren?
Statt Sparmassnahmen sind vermehrte Investitionen beispielsweise in Präventions- und Bildungsangebote nötig. Armutsbetroffene dürfen nicht zum Spielball einer repressiven Sparpolitik werden!
Interview: Tania Oliveira, Fachstelle Sozialarbeit (Fasa)
Kollekte
Am Sonntag, 13. September wird in den Gottesdiensten in Stadt und Region Bern die Kollekte für die Hilfskasse für Menschen in Not der Pfarreisozialdienste aufgenommen. Die Sozial- und Beratungsdienste der Pfarreien sind Anlaufstellen für viele Hilfesuchende. Vielfach kann den Betroffenen mit einem einmaligen finanziellen Beitrag schnell und unbürokratisch geholfen werden.
Direkt mit Einzahlungsschein: PC 30-10715-1, Gesamtkirchgemeinde Bern, Vermerk: Hilfskasse für Menschen in Not.