Ursprünglich gar nicht so kompliziert. Brigitta Rotach. Foto: Miriam Bollag Dondi Was sind Gemeinsamkeiten? Wo gibt es Parallelen und Abgrenzungen? Auch und vor allem in den Religionen. Das Bild zeigt den Beitrag «Bang» des chinesischen Künstlers Ai Weiwei im deutschfranzösischen Pavillon an der Kunstbiennale in Venedig 2013. Foto: kr
Zwei Völker in einem Leib
Auch in diesem Jahr feiern Juden ihr Pessach und die Christen Ostern am selben Datum. Brigitta Rotach leitet die Kulturprogramme im «Haus der Religionen» Bern. Ihre Mutter ist Jüdin, ihr Vater Christ. Die Religionswissenschaftlerin schildert, wie sie den Sederabend, den Osternachtgottesdienst und das Mazzenbrechen erlebt hat. Ab und zu war hohes Fieber das Resultat.
Von Brigitta Rotach
Über Ostern schreiben? Ausgerechnet ich? Eine fromme Seele bin ich zwar, doch mit einer gebrochenen religiösen Biographie. In eine gemischte Familie hineingeboren, mit jüdischer Mutter und christlichem Vater, habe ich es mir – aus welchen Gründen auch immer – zur Lebensaufgabe gemacht, eine Ordnung in die Religionen in meinem Herzen zu bringen. Gerade Ostern ist da besonders dramatisch, inhaltlich natürlich, aber auch terminlich. Fällt doch, Ostern häufig mit Pessach zusammen. Erinnerungen an frühere Jahre kommen da hoch wie ich zwischen Kreuzwegprozession, Sederabend, Osternachtgottesdienst und Mazzenbrechen hin und her gerannt bin. Ein Hochseilakt, der auch mal mit hohem Fieber im Bett und fern der Zerreissproben endete. Dabei scheint es ursprünglich gar nicht so kompliziert gewesen zu sein. Heisst es doch im Matthäus-Evangelium, Kapitel 26:
«Aber am ersten Tage der ungesäuerten Brote traten die Jünger zu Jesus und fragten:Wo willst du, dass wir dir das Passalamm zum Essen bereiten?
Er sprach: Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm: Der Meister lässt dir sagen:Meine Zeit ist nahe; ich will bei dir das Passa feiern mit meinen Jüngern. Und die Jünger taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und bereiteten das Passalamm.»
Zwei rivalisierende Geschwister
Jesus hat also mit seinen Jüngern Pessach gefeiert. Ganz selbstverständlich und arglos wird dies im Neuen Testament überliefert. Doch heute hat die Eucharistie und auch der Grüne Donnerstag nichts mehr mit dem jüdischen Sederabend zu tun. Christen feiern nicht Pessach und Juden sicher nicht Ostern. Für mich war genau dies über Jahre ein Spiessrutenlauf. Schlüsselerlebnis zu einem neuen Umgang mit den beiden konkurrierenden Festen war da vor Jahren ein Vortrag in der Benediktinerabtei Dormitio auf dem Berg Zion in Jerusalem, als der Historiker Israel Yuval von der Hebräischen Universität zu Theologiestudierenden aus aller Welt sprach. Seine Thesen haben mich elekrisiert und seither nicht mehr losgelassen. Yuval geht in die Anfangszeiten der Zeitenwende zurück und zeigt, wie Judentum und Christentum sich aus ihrer unmittelbaren Nähe durch bewusste, oft polemische Abgrenzungen und gegenseitige Antworten zu je eigenständigen Religionen entwickelt haben. Dass das Christentum auf dem Judentum aufbaut, ist bekannt. Dass sich aber auch das rabbinische Judentum erst als Antwort auf das erstarkende Christentum formierte, ist eine neue und von jüdischen Forschern postulierte These. Wenn man Familienmethaphern braucht, spricht man heute also nicht mehr vom Judentum als Mutter des Christentums, sondern sieht in den beiden Religionen eher zwei rivalisierende Geschwister. An Ostern/Pessach wird dies besonders deutlich.
Pessach ist Erinnerung
Erinnern wir uns kurz, worum es bei Pessach geht. Wie bei allen jüdischen Festen steht eine historische Erinnerung im Zentrum. Hier sozusagen die Erinnerung der Erinnerungen, der Auszug aus Ägypten oder noch genauer, der Moment des Aufbruchs wird gefeiert, die göttliche Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei. Damals mussten die Kinder Israels vor der letzten und schrecklichsten Plage, dem Tod der Erstgborenen, ein Lamm schlachten und mit dem Blut ein Zeichen an ihre Tür malen, um verschont zu werden. Als sie nach dieser schrecklichen Nacht vom Pharao freigelassen wurden, hatten sie laut dem biblischen Bericht in der Eile des Aufbruchs keine Zeit mehr, den Brotteig durchsäuern zu lassen. Daran soll man sich beim Essen der ungesäuerten Brote erinnern, wie es etwa in Exodus 13,14 heisst:
«Und wenn dich heute oder morgen dein Sohn fragen wird: Was bedeutet das?, sollst du ihm sagen: Der HERR hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten, aus der Knechtschaft, geführt.»
Keine verpflichtende Liturgie
Jesus hat mit seinen Jüngern dieses Erinnerungsfest gefeiert. Allerdings nicht so wie es heute am Seder üblich ist. Dies verrät eine kleine Passage in der Liturgie für den Sederabend. Fünf Rabbiner (jüdische Gelehrte des Altertums) werden da erwähnt, «die in Bne Brak zusammensassen und die ganze Nacht über den Auszug aus Ägypten erzählten, bis ihre Schüler kamen und sie daran erinnerten, dass es Zeit zum Morgengebet sei». Keine Rede ist dabei von einer verpflichtenden Liturgie, einer festgesetzten und in einem Buch – der Haggada – verfassten Ordnung mit Texten und Liedern. Vorgegeben war wohl einfach, sieben Tage lang ungesäuertes Brot zu essen, ein Pessachopfer im Tempel darzubringen, zusammenzusitzen und gemeinsam an die wunderbare göttliche Errettung aus der Gefangenschaft zu erinnern. Angelpunkt für die weitere Entwicklung hin zu zwei konkurrierenden Deutungen des Pessachfestes, einer explizit jüdischen und einer theologisch ganz anderen, christlichen, war die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n.Chr. Anstelle des nun wegfallenden Tempelopfers schufen die beiden jungen Religionsgemeinschaften liturgischen Ersatz.
Opfer und Erlösung
Das Verständnis von Pessach als Fest des Opfers und der Erlösung blieb beiderseits bestehen, aber im werdenden Christentum erinnerte man dabei an die Passion und Kreuzigung Jesu. In der apokryphen Epistula Apostolorum heisst es sogar, dass Jesus den Jüngern erschienen sei und ihnen geboten habe, das Pessachfest im Gedanken an seinen Tod zu begehen. Mit der Zeit bildete sich vor allem in der Westkirche und Rom auch die Tendenz heraus, die Verbindung zum ursprünglich jüdischen Fest möglichst abzuschneiden. Unter anderem wurde Ostern nun absichtlich auf Sonntag festgelegt, den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond, während das Judentum am 14. Nissan festhielt, dem Vollmond selber.
Konkurrenz
Die Tendenz, die gegnerische Position implizit zu bestreiten und sich absichtlich davon abzugrenzen, ist aber nicht nur der erstarkenden Kirche vorbehalten. Ganz ähnliche Bestrebungen lassen sich neuerdings auch für die bis heute gültige rabbinische Form von Pessach festmachen. Während die drei alten Festagssymbole im Christentum betont christologisch gedeutet wurden, das Pessach-Lamm auf Christus als Agnus Dei bezogen, die Mazza zum Corpus Christi in der Eucharisti wurde und das Bitterkraut als Symbol für die Passio Domini steht, zeigen genau spiegelverkehrt dazu die Ausführungen des pharisäischen Rabbiners Gamaliel die jüdische Replik darauf:
«Rabban Gamaliel pflegte zu sagen: Wer diese drei Dinge zu Pessach nicht genannt hat, der hat seiner Pflicht nicht genügt, und zwar: das Pessach-Opfer, das ungesäuerte Brot (Mazza) und das Bitterkraut.
Wofür steht das Pessach-Opfer, das unsere Väter assen, als der Tempel noch bestand? Dafür, dass der Heilige, gelobt sei Er, an unseren Vätern in Ägypten vorübergegangen ist (passach) ...
Wofür steht das ungesäuerte Brot, das wir essen? Dafür, dass der Teig unserer Väter keine Zeit zum Säuern hatte…
Wofür steht das Bitterkraut, das wir essen? Dafür dass die Ägypter unseren Vätern in Ägypten das Leben verbittert haben.»
Das Lamm soll also betont nicht als Lamm Gottes stehen, das Brot ist nicht die Eucharistie, und die Bitterkeit meint nicht die Passion Christi. Die Pessach-Haggada erweist sich damit als Reaktion auf die christliche Neuinterpretation, entstanden aus dem Bedürfnis heraus, der selbstbewussten christlichen Deutung des Festes etwas eigenes Jüdisches entgegenzusetzen. Auf beiden Seiten das gleiche Muster, polemische Abgrenzung gegen aussen und nach innen der Versuch, eine klare Selbstdefinition zu finden.
Absichtlich und menschengemacht
Die je unterschiedlich «richtige» Deutung der Festsymbole wurden jetzt gegeneinander festgeschrieben und zur Abgrenzung religiöser Zugehörigkeit benützt.
Kein Wunder also, fiel es mir über Jahre schwer, die widersprüchlichen und gleichzeitigen Feste zu feiern. Natürlich ist es nun nicht möglich, die letzten 2000 Jahre der Religionsgeschichte ungeschehen zu machen und in die Zeitenwende zurückzuspringen. Doch zeigen die liturgiegeschichtlichen Forschungen in Judentum und Christentum, dass viele der Differenzen erst im Laufe der Zeit entstanden sind, und zwar absichtlich und menschengemacht. Auch wenn ich heute eindeutig Pessach feiere, ist mir bewusst, dass bei aller theologischen Differenz beiden Festen das feierliche Erinnern an göttliche Befreiung und Erlösung und die Hoffnung auf eine endzeitlich heile Welt gemeinsam ist. In diesem Spannungsfeld zwischen «schon-jetzt » und «noch-nicht » setzen die beiden Religionen heute unterschiedliche Schwerpunkte, die gerade im Vergleich richtig zum Leuchten kommen. Solche Gemeinsamkeiten, Parallelen und Abgrenzungen zu untersuchen, zwischen Judentum und Christentum, aber auch allen andern Religionen, ist eine der spannenden Aufgaben meiner Arbeit im Haus der Religionen.
Zur Person
Brigitta Rotach, leitet die Kulturprogramme im «Haus der Religionen Dialog der Kulturen » am Europaplatz in Bern. Von 1994 bis 2011 moderierte sie die TV-Sendung «Sternstunde Religion». Sie ist Mitglied der jüdischliberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich. Infos: www.hausderreligionen.ch