Frühe Aufnahme der kanadischen Metal-Band Voivod. Sänger Denis Belanger trägt ein T-Shirt mit Kreuz. Gekreuzigt wird eine Frau. Das Bild stammt aus dem Booklet zur CD «Killing Technologgy». Besungen wird darauf die beklemmende Atmosphäre einer zunehmend technisierten Welt.
Zwischen Matthias Grünewald und «Black Sabbath»
Das Kreuz in der Subkultur
Kreuzesdarstellungen gibt es viele – auf Gemälden, Skulpturen, Altären und auch in der Rock- und Popkultur. Das Kreuz findet sich dort auf Plattencovers, CDs, T-Shirts, Tätowierungen, Schmuck von Musiker:innen oder in der biblischen Anlehnung von Bandnamen. Gedanken über mögliche Hintergründe dieses «catholic taste» bzw. katholischen Geschmacks.
Von Sandro Fischli
Während in Gospelliedern die Hoffnung überwiegt, wird im Blues mehr die Hoffnungslosigkeit besungen. Etliche Titel drehen sich um den Ernst des «Judgement Day», des letzten Gerichts. Weltliche Worte werden dabei immer wieder mit Stossseufzern wie «Lord, have mercy» unterbrochen, ohne dass die Lieder explizit christlichen Gehalt hätten. In den boomenden 1960ern und 1970ern war auch Pop meist rein weltlich oder wenn schon von indischen, keltischen, nordischen Bezügen geprägt. Oder Texte wandten sich explizit, provokativ gegen christliche Inhalte. Die Punk- und Rockmusikerin Patti Smith etwa lehnte ab, dass Jesus auch für ihre Sünden gestorben sei und Jim Morrison, Frontmann der Rockband «The Doors», annullierte seine Unterschrift auf dem Vertrag zur Auferstehung, das jedenfalls sang er 1967, auf dem zweiten «The Doors»-Album «Strange Days».
In diesem Zeitgeist nannte sich eine Band anfangs der 1970er «Nazareth». Das fiel auf. Sie gehörte zu den Bands an der Schnittstelle des Hard Rocks zum Heavy Metal, wie auch die Band «Black Sabbath». Letztere pflegte nie, wie meist kolportiert, satanistisches Gedankengut, sondern besang Ängste vor möglicher Verdammnis, als Einzelne oder als Menschheit. Ihre Stücke scheinen wie verzweifelte Hilferufe, der schwere schleppende Rock wurzelt im Blues. Die Band «Spooky Tooth» wiederum veröffentlichte mit Pierre Henry, einem experimentellen Elektroniker, die Platte «Ceremony», eine Passionsmusik. Auf dem Cover wird eine Hand an einen schreienden Kopf genagelt, in der Musik sind die Hammerschläge auf die Nägel zu hören – für mich ein Schock bis heute.
Schwarze Romantik
Die nächste Welle christlicher Anleihen folgte nach New Wave, mit der schwarzen Romantik der «Gothics». Nun wimmelte es von Bands, die sich «Christian Death», «Sisters of Mercy», «Screaming Blue Messiahs», «Nine Inch Nails» (die Zimmermanns-Nägel wieder) oder «Golgotha» nannten. Inzwischen berief sich auch die Band «St. Vitus» in ihrem Namen auf einen Märtyrer des frühen Christentums und nahm Bezug auf die langsame Schwere von «Black Sabbath», die sie zu fast monotonem Stillstand brachte. Eine experimentelle Berner Underground-Band nannte sich Anfang der 1980er Jahre «Wanderwege ins Purgatorium». Apokalyptisches war voll im Trend, nicht von ungefähr, nach dem «no future» des Punks und der weiterhin andauernden Grosswetterlage, die junge Menschen erfuhren. «Slayer» (engl. Mörder oder Schlächter), eine der härtesten Bands im Thrash Metal, hat ein Stück mit dem Titel «Jesus Saves». Vielleicht ist es ironisch gemeint, ich glaube es zwar nicht, der Bandleader hat südamerikanische Wurzeln.
Kontraste
Latinos, irische Katholik:innen oder die Italo-Amerikanerin Madonna, die Kreuzesschmuck tragen, sind ein Gegenbild zum herrschenden Mainstream der weissen, angelsächsischen Protestanten (WASP), die keine Symbolsprache mehr ausser ihrer Dominanz zur Verfügung haben. Hinzu kommt das Kreuz in Tätowierungen der Ausgegrenzten – Sträflinge, Junkies, Prostituierte, des Lumpenproletariats. Hier berühren wir jene Dimension – von der schon der Schriftsteller Fjodor Dostojewski erzählt –, in der Sünder:innen als einzige noch ahnen, wie wichtig das Heilige ist. Und sei es auch nur, wie in den Gothic Novels, wo der Abwehrzauber gegen die Vampire dank dem Kreuz funktioniert. Aberglaube als Zerrbild von Glauben erscheint immer noch besser, weil sinnstiftender, als gar kein Glaube…
In diesen Subkulturen herrscht ein un- oder halbbewusstes Wissen um die nicht rationalisierbare Bedeutung des Kreuzes. Es ist auch ein Wissen um dessen Grausamkeit, so brutal ihre Musik denn auch klingen mag. Auch Matthias Grünewalds Kreuzigungsdarstellung auf dem Isenheimer Altar zeigt diese Grausamkeit ungeschminkt. Das Christliche an solchem Rock ist, wenn schon, eine Anklage dagegen, was Menschen einander und der ganzen Schöpfung antun, ein Einklagen von etwas anderem, als was da ist. Die Brutalität des Kreuzes mag für diese Subkultur die Grausamkeit zusammenfassend symbolisieren. Sie verweist auf den extremen Kontrast zwischen Licht und Dunkel, den das Christentum gemäss dem Theologen Leonhard Ragaz auszeichnet. Für sie sind Weichzeichnungen schwärmerischer Verschmelzungen wie zu Hippiezeiten fehl am Platz, so schön diese Musik auch sein mag.
Für mich bringt es die polnische Band «Behemoth» exemplarisch auf den Punkt, obwohl sie mir ansonsten in ihrer Verneinung deutlich zu weit geht, sicher auch zurückzuführen in ihrer Ablehnung einer lebensfeindlichen Kirchendoktrin in ihrem Land. Die Titelzeile eines ihrer Stücke lautet: «If crucifixion was not enough» – als ob die Kreuzigung nicht schon genug wäre. Hier ist etwas von jenem Trotz zu spüren, den der Philosoph Søren Kierkegaard erwähnt; jener Trotz also, der als Kehrseite der Medaille sehr nahe am Glauben ist, an einem Glaubenwollen, sich aber noch vehement dagegen wehrt – auch da eine dostojewskische Dimension. Die Fastenzeit will uns auf die Passionszeit vorbereiten. Diese dauert auch nach Ostern noch an. Das scheinen diese Subkulturen zu spüren, darin liegt ihr Ernst.