Sommerserie «Ich will dir singen und spielen»
... Teil 2 ...
Ferien in der Krypta
Nur wenige Schritte vom hektischen Stadtzentrum entfernt sitzt Kurt Meier in der menschenleeren Krypta der Dreifaltigkeitskirche an der Orgel. «Das ist einer meiner Lieblingsplätze hier in Bern», sagt er. «Zwei Stunden in der Stille und Kühle dieses Sakralraums Orgel spielen zu können bedeutet für mich, als innerlich anderer Mensch wieder in die Stadt hinauf zu gehen. Das sind für mich Ferien…» Wie kommt der 1961 im Fricktal geborene Berner Kirchenmusiker dazu, seine berufliche Tätigkeit auch gleich als Quelle der Regeneration zu bezeichnen? Was begeistert ihn an der Kirchenmusik? Nach der B-Matura in Aarau, Studium der Musikwissenschaft an der Universität Basel und einem Jahr im Benediktiner Kloster Maria Stein erwirbt er das C-Diplom an der Kirchenmusikschule in Wettingen, anschliessend das B-Diplom in Orgel und Chorleitung an der Akademie für Schul- und Kirchenmusik in Luzern; es folgen ergänzende Studien in Chorleitung am Institut für reformierte Kirchenmusik in Zürich und ein anthroposophisches Studienjahr in Dornach. Geradewegs in die Kirchenmusik – was ist denn daran so faszinierend? Nicht die grossen Bühnen, nicht die Lehrtätigkeit, sondern die Herausforderung, als Musiker quasi gegen den Strom zu schwimmen und dies zudem in einer Zeit, in der das kirchliche Leben bescheidener ist als auch schon, die Zahl kirchlich praktizierender Gläubiger und damit wohl auch das Interesse an Kirchenmusik abnimmt?
Grad wäge däm!
«Grad wäge däm», sagt Kurt Meier. Eben diese Herausforderung hat ihn gepackt. Als spiritueller Mensch mit einer Vorliebe für das Rituelle und einem grossen Interesse für Theologie und Liturgie kann er sein musikalisches Talent in einem Bereich einbringen, in dem mehr als wohlklingende Töne gefragt sind. Begeistert zeigt er auf, dass die Kirchenmusik eine ganz besondere Sparte ist: Viele Kompositionen von der Gregorianik bis heute werden nirgendwo sonst gespielt, gelangen nicht aus den Kirchen heraus und stellen damit einen wunderbaren Schatz dar, den es zu bewahren und weiter zu tragen gilt. Als besorgten oder gar ängstlichen «Schatzträger» sieht sich Kurt Meier aber nicht, er steht selbstbewusst in jenen Kräfte-, manchmal auch Spannungsfeldern, in denen liturgische Texte, Vertonungen, Rolle und Präsenz der feiernden Gemeinde, ab und an auch die Frage von der «Singbarkeit» eines Stückes miteinander im Spiel sind.
Lieblingsmusik
Hat ein Kirchenmusiker denn eine Lieblingsmusik ein Stück, ein Werk, das er anderen vorzieht? «Nicht eigentlich», sagt Kurt Meier. «Lieblingsmusik» ist für ihn jene, die gut, interessant, spannend ist, Musik, die «mit sich selber spricht»: Damit meint er komplexe, differenzierte Kompositionen, die Farbe, Wechsel von Hell und Dunkel, Mut zu Ekstase und Instase aufweisen. So verstanden finden sich in seiner Tätigkeit immer wieder Momente von «Lieblingsmusik»…: Er ist Kirchenmusiker in der Pfarrei Dreifaltigkeit und der Paroisse Française de Berne. In beiden Pfarreien ist er Organist als auch Kantor und Leiter verschiedener Chöre, darunter die eigentlichen Kirchenchöre, eine Männer- und eine Frauen- Schola, das Vokalensemble «Voce umana», das fünfköpfige Renaissance-Musik-«Mensemble ». In der deutschsprachigen Pfarrei ist Kurt Meier Verantwortlicher für sämtliche Kirchenmusik und somit zuständig für die Organisation von Chorkonzerten, für die Einteilung aller Dienste, das Erstellen von Liedplänen. Das bedeutet viel administrativen Aufwand, den der Musiker jedoch leichtfüssig auf sich nimmt. Die Büroarbeit dient dazu, die Musik umfassend und bewusst in der Kirche, in der Liturgie zu verankern. So gilt es etwa, die Lieder so auszuwählen, dass sie im Einklang, manchmal auch in bewusstem Gegensatz zu den liturgischen Lesungen stehen. Zudem sind längst nicht alle Lieder «singbar» für die Gottesdienstgemeinden.
Nach seiner Sicht der Entwicklung befragt, stellt der Kirchenmusiker zunächst nüchtern fest, dass «weniger gesungen wird.» In Konzert- und Projektchören macht sich dies weniger bemerkbar als im kirchlichen Bereich: Dort zeigen die sinkenden Zahlen von Singfreudigen und Gottesdienstbesuchenden Wirkung – sowohl in der «singenden Gemeinde » als auch in den Kirchenchören. Eine Schreckensvision von Kurt Meier wäre elektronische «Konservenmusik». Er befürchtet, dass dabei der Fantasie auf gefährliche Weise keine Grenzen mehr gesetzt würden. In speziellen Gottesdiensten werden heute zur musikalischen Gestaltung oft professionelle «Spezialisten» aufgeboten «Dagegen ist nichts einzuwenden, umso mehr, als wir hierzulande noch ‹aus dem Vollen schöpfen› und für Kirchenmusik auch entsprechend Geld ausgeben können. Allerdings sollte die Gottesdienstgemeinde dann nicht einfach dasitzen und geniessen. Von aktivem Einbezug in das liturgische Geschehen kann nicht mehr die Rede sein.» Kurt Meier lässt sich die Freude an seinem Beruf nicht nehmen durch allzu düstere Prognosen. Sein umfangreiches Musizieren ist immer wieder ein keckes, leidenschaftliches Auflehnen gegen Modeerscheinungen und Mutlosigkeiten. Die Weitsicht dazu holt er sich immer wieder an seinen Lieblingsplätzen mit Ausblick auf zügig dahinziehendes Wasser oder die Berner Alpen: An der Aare, auf dem Balkon seiner Wohnung oder auf dem Berner Gurten.
Marie-Louise Beyeler
Zweites Vatikanisches Konzil 1963–1965
Kirchenmusik in der Liturgiekonstitution «Sacrosanctum Concilium»
Ein Spagat?
Im sechsten Kapitel der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium werden unter anderem Rolle und Aufgabe der Kirchenmusik reflektiert. Es war den Konzilsvätern ein Anliegen, den Grabenkämpfen um die „richtige Kirchenmusik“ ein Ende zu setzen: Die Liturgische Bewegung, die bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt und ihren Höhepunkt in der Mitte des 20. Jahrhunderts gefunden hatte, sah den aktiv in der Liturgie beteiligten, mitfeiernden Gläubigen auch als aktiv mitsingend, dadurch war schlichtere, singbare Musik gefragt. Die Position der Liturgischen Bewegung in Sachen Kirchenmusik stand den Verfechtern der traditionellen, kunstreichen Kirchenmusik entgegen. Dieser wurde im Gottesdienst zwar in grosser Andacht und zur Erbauung, jedoch passiv zugehört. Das Konzil ging die Fragen diplomatisch an: „Die überlieferte Musik der Gesamtkirche stellt einen Reichtum von unschätzbarem Wert dar, ausgezeichnet unter allen übrigen künstlerischen Ausdrucksformen vor allem deshalb, weil sie als der mit dem Wort verbundene gottesdienstliche Gesang einen notwendigen und integrierenden Bestandteil der feierlichen Liturgie ausmacht“, heisst es in Art. 112. Der Schatz der Kirchenmusik muss sorgfältig bewahrt und gepflegt und Sängerchöre sollen gefördert werden (Art. 114). Es kommt nun zum Spagat, gilt es doch daneben, die Gottesdienstgemeinde in jeder liturgischen Feier aktiv, das heisst auch mit Gesang, zu beteiligen. Art. 121 rät den Kirchenmusikern Werke zu komponieren, die nicht nur für grosse Sängerchöre geeignet sind.
mlb
Literatur
Karl Rahner/Herbert Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, Freiburg 2008; Martin Klöckener e.a. (Hrsg.), Gottes Volk feiert … Anspruch und Wirklichkeit gegenwärtiger Liturgie, Trier 2002.