Teil 2 - Lommiswil

Geist, der in die Weite weht

 

 

Das Bild ist ungewöhnlich. Über den Dächern des solothurnischen Dorfes Lommiswil ragt kein typischer Kirchturm empor, sondern eine sanft geschwungene Betonkonstruktion, die eher an einen schiefen Zahn erinnert.

Beim Näherkommen erstaunt die moderne Betonkirche der Pfarrei St. Germann Lommiswil. Hügelwärts geht der Blick zur alten St. Germanskapelle: Sie wurde 1483 gebaut und erwies sich im Lauf der Zeit als zu klein für die Gläubigen in der Region.

Als Mitte des letzten Jahrhunderts das Pfarrrektorat Lommiswil zur eigenständigen Pfarrei errichtet wurde, wuchs der Wunsch nach einer grösseren, zeitgemässen Kirche: Im Mai 1968 weihte der damalige Bischof Anton Hänggi die neue Kirche Heilig Geist ein.

Hier stehe ich nun und mache als erstes einen Rundgang um die Kirche herum. Der Bau mit burgähnlichem Charakter steht irgendwie fremd in der dörflichen Umgebung und macht wohl gerade deshalb gwunderig auf sein Innenleben.

Farben und Formen

Der Oltener Architekt Roland Hanselmann und der für seine mutigen Spannbetonkonstruktionen bekannte Ingenieur Heinz Isler aus Burgdorf haben einen Kirchenraum geschaffen, der noch heute erstaunt: ein Raum, der dem Wehen des Heiligen Geistes Raum gibt, in dem die Decke zu entschweben scheint und an den Wänden Variationen des Elementes Beton miteinander spielen…

Der Altar, vom Künstler Jean Hutter entworfen, ist kein schwerer Steinblock, sondern wirkt mit seinen Durchbrüchen als lebendiger Tisch aus Stein und holt die Gottesdienstteilnehmenden in die Mitte hinein.

Die Glasfenster erstaunen, entzücken, laden zum Betrachten ein. Die zwölf Fenster des Künstlers René Acht stellen die Apostel in ihrer Eigenart und Verschiedenheit dar. Fliessende Formen, leuchtende Farben, keine Typisierungen und doch treten den Betrachtenden zwölf „Porträts“ entgegen: Die ersten Verkündiger erzählen auf vielfältige Weise von der lebendigen, froh machenden Botschaft Jesu Christi…

Der Künstler hat für die zweite Glasfenster-Komposition in dieser Kirche mit konkreteren Elementen gearbeitet. Dreizehn übereinander gestellte Fensterquadrate stellen die Heilige Dreifaltigkeit, die vier Elemente, die sieben Sakramente und als Abschluss Christus, Alpha und Omega dar.

Die Rückwand der Kirche zeigt ein drittes Fenster-Element zum Thema Heiliger Geist: Ein leuchtendes, helles Zentrum fliesst in Farben und Formen hinein – geist-durchwirktes Leben. Die Farbenpracht der Glasfenster und der schwungvollen Kirchenraum begeistern. Schade ist, dass zu viele nicht mehr ganz frische Zimmerpflanzen und zu viele nicht wirklich passende Möbel und Möbelchen die Kunst hier drinnen schmälern, nicht „atmen“ lassen…

Inspiriert

Beim Hinaustreten ins Freie atmet dann aber der ganze Bau ganz gehörig durch. In den Morgenhimmel hinein erzählt der Turm von den fünfzig Jahren Geschichte dieser Kirche, von Gottesdiensten und Anlässen und Veränderungen in den kirchlichen Strukturen.

Die Pfarrei Lommiswil bildet zusammen mit den Pfarreien Bellach, Langendorf, Oberdorf und Selzach den 2016 errichteten und heute von Luisa Heislbetz geleiteten Pastoralraum Mittlerer Leberberg. Um diese Gegend am Jurasüdfuss näher zu erkunden, wandere ich auf dem „Waldrandweg“ in rund zwei Stunden nach Grenchen. Die Sicht ist grossartig: Da breitet sich die „Witi“ aus, sie wurde beim Bau der A5 zwischen Solothurn und Grenchen als Schutzzone ausgeschieden und ist heute geschätztes Naherholungsgebiet.

Die Aare schlängelt sich Solothurn entgegen, hinter dem Bucheggberg zerfliessen Hügelketten bis hin zu den Berner Alpen. Welche Schönheit! Unwillkürlich sehe ich die Glasfenster in der Lommiswiler Kirche vor mir.

Ob der Künstler hier in der Gegend spazieren ging, um sich inspirieren zu lassen? Ob ihn die Landschaft vom Waldrandweg aus, das harmonische Ineinandergehen von Ortschaften, Feldern, Wäldern, Hügeln und Fluss ans Wirken des Heiligen Geistes erinnert haben?

Die Pfingstgeschichte wird lebendig: Als Zeugen Jesu Christi bleiben die Apostel zusammen, beten und warten quasi auf jenen Schwung, der sie ihre Botschaft hinaustragen lässt in die Welt. Er kommt mit Brausen und Feuer, dieser Schwung, und hält bis heute an… bis hierher, an den Jura Südfuss, wo die Glaskunst von René Acht viel mehr ist als eine nette Kirchenraum-Dekoration, sondern Verkündigung und Zeugnis gelebten Glaubens, Freude und Verschmelzen mit der Landschaft.

Geissblatt und Gipfeli

Der Waldrandweg ist auch ein Lehrpfad, auf schlichten Holztafeln stehen die Namen von Sträuchern und Bäumen. So lerne ich Weissdorn und Schwarzdorn, Geissblatt und Douglasie, Mehlbeere und Holunder näher kennen.

Ab und an plätschert ein Bach, zahlreiche Bänkli laden zum Verweilen ein, um einen Bauernhof herum säumen Holzskulpturen den Weg. Am oberen Rand von Grenchen biegt der Weg ab Richtung Zentrum. Bleibt die Bemerkung, dass der durch eine Fernsehsendung entstandene Image-Schaden Grenchens auf einem Spaziergang innert Minuten aufpoliert wird.

Hundehalter grüssen nett und wünschen „e schöne Dag“, in den Gärten grünt und blüht es in allen Farben, das Stadtzentrum sieht einiges besser und urbaner aus als jenes anderer mittelländischer Kleinstädte.

Im Restaurant „Baracoa“ wird der Kaffee mit einem köstlichen kleinen Gipfeli serviert. Auf meine scheue Bemerkung hin, das hätte ich nicht bestellt, meint die Bedienung freundlich, das gehöre dazu. Weil man das wohl einfach weiss, meint der Mann vom Nebentisch: „De sit der äuä nid vo do“… Nein, bin ich nicht, aber der Besuch hat sich gelohnt. Lommiswil sei Dank.

Informationen

„Wo der Wind weht“. Festschrift zum 50-Jahr-Jubiläum der Heilig-Geist-Kirche in Lommiswil 1968-2018. Hrsg. Röm.-kath. Pfarramt Lommiswil; Röm.-kath. Kirchgemeinde Oberdorf SO

www.pastoralraum-mlb.ch

www.lommiswil.ch

www.grenchen.ch