Cressier

Ein Gotteshäuschen mit Ausstrahlung

Kapelle St. Urbain im fribourgischen Cressier

Bei der kleinen Kapelle St. Urbain bei Cressier haben die Eidgenossen für einen Sieg gegen Karl den Kühnen gebetet. Viel wichtiger aber ist der eindrückliche Ort selbst, wo sich Himmel und Erde auf besondere Weise berühren sollen.

Text: Nicole Arz
Fotos: Pia Neuenschwander

Der kleine Parkplatz auf der Hochebene Bouley bei Cressier im Freiburger Seebezirk ist selten leer. Die Strässchen und Wege hier oben sind ganz offensichtlich ein Anziehungspunkt für Menschen, die es lieben, zu spazieren, zu wandern oder mit dem Velo unterwegs zu sein. An klaren Tagen reicht das Alpenpanorama am Horizont vom Säntis bis zum Gantrisch. Die Hochebene selbst dehnt sich als ausgeräumtes Wiesen- und Kulturland nach allen Seiten bis an ihre waldige Begrenzung. Zwei schmale Nebenstrassen kreuzen sich im freien Wiesenland. Gleich daneben ein kleines, weisses Gebäude mit rotem Dach und spitzem Türmchen: die winzige Kapelle St. Urbain. Auf den ersten Blick ein recht bescheidener Ort, dessen herausragendste Eigenschaft – so die erste Vermutung – wohl der eindrückliche Standort sein mag.
Und doch taucht St. Urbain auf einer von Freiburger Tourismuskreisen lancierten Liste auf, die Orte mit grosser spiritueller Ausstrahlung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen will. Eine Liste, auf der sich bedeutende sakrale Stätten wie die Klöster Hauterive und La Valsainte oder die Freiburger Loreto-Kapelle befinden. Und eben auch St. Urbain. Grund genug für einen Augenschein.

Ins schlichte Innere

Die Kapelle ist jederzeit zugänglich. Wer es über die hohe Türschwelle ins Innere geschafft hat, trifft auf einen schlichten mit Holzbänken ausgestatten Innenraum. Über dem Altar hängt ein Gemälde von Papst Urban, daneben steht eine Holzstatue der Jungfrau mit Kind. Mitten auf den Altar hat jemand das gerahmte Foto von Papst Johannes Paul II. gestellt. Die Blumensträusse sind künstlich. Es können Kerzen angezündet werden, das dazugehörige Kässchen ist ein Kuchenstück aus Porzellan. In der Fensternische steht eine Schachtel mit Gebetszetteln. «Seigneur, j’allume une bougie», steht da. Und die Bitte, dass Gott durch die kleine Flamme unser Herz erwärmen möge, dass er uns lehren möge zu lieben.

Auffällig sind die in tiefe Nischen eingebrachten Fenster. Milchiges Glas, durchzogen von schwarzen Linien und mit Feldern in unterschiedlichen Farben und Formen versehen. Der zeitgenössische Glaskünstler Jean-Pierre Demierre habe hier die Begegnung der Wege Gottes und der Menschen illustriert, ist bei Freiburg Tourismus nachzulesen.

Kraftort

Die Theologin Irene Neubauer, die St. Urbain schon lange kennt, findet immer wieder den Weg hierher. Es sei ein besonderer Ort mit einer starken Anziehungskraft, erzählt sie. Und auch, dass sie immer wieder beobachte, dass nicht nur Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft zur Kapelle kämen, sondern auch viele Auswärtige.

Die Geschichte des kleinen Gebetshauses reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück; es findet dort seine erste schriftliche Erwähnung im Zusammenhang mit einer Lieferung von Dachziegeln, die der Freiburger Rat bestellt hatte. Irene Neubauer vermutet, dass die eigentliche Geschichte des Ortes aber weit in vorchristliche Zeit zurückreicht. Und angesichts der flachen, nach allen Seiten offenen Bergkuppe ist es tatsächlich denkbar, dass St. Urbain auf einem keltischen Kraftort steht.

Die betenden Krieger

Ein ganz anderer Bezugspunkt zur Kapelle erschliesst sich über die Holztafel auf dem Frontspitz des kleinen Gotteshauses. Der altdeutsche Text soll übersetzt in etwa lauten: «Hier versammelten sich die Eidgenossen, um zu beten, bevor sie den Herzog von Burgund vor Murten besiegten und vertrieben.» Vielleicht war es gar Adrian von Bubenberg selbst, der hier vor 545 Jahren sein Gebet gesprochen hat.

Das ehemalige Schlachtfeld ist in der Tat nur wenige Kilometer entfernt, ebenso der sogenannte «Feldherren-Hügel», auf dem Karl der Kühne sein Lager aufschlug, um auf die Eidgenossen und ihre Verbündeten zu warten. Der Herzog von Burgund belagerte die Stadt Murten, um sich für seine Niederlage bei Grandson zu rächen, und wurde erneut in die Flucht geschlagen. Ein bedeutender Sieg für die Hiesigen, der die Eidgenossenschaft als unabhängigen Staat zweifellos gestärkt hat.

Wo sich Himmel und Erde berühren

Ich erinnere mich an dieser Stelle an die viele Wochen dauernden Festspiele, mit denen man 2014 dieses Ereignisses an den Originalschauplätzen gedachte. Auf einer Freilichtbühne wurden die Geschehnisse rund um die Schlacht aus der Sicht von Adrian von Bubenberg und seinen Getreuen nachgespielt. Die Bedenken im Vorfeld – auch angesichts der martialischen Werbeplakate –, dass hier womöglich Kriegsgewalt verherrlicht werden könnte, bewahrheiteten sich glücklicherweise nicht. Unvergessen ist mir das fiktive Gespräch zweier Soldaten am Vorabend der Schlacht, deren grösster Wunsch es war, einfach nach Hause gehen zu können. Nach Hause zu ihren Familien, in ihr einfaches Leben und zu ihrer täglichen Arbeit. Nachvollziehbar. Vielleicht waren es gerade auch solche Gebete, die hier in der Kapelle vor über 500 Jahren gesprochen worden sind.

Heute sind in unmittelbarer Nähe einige Lindenbäume gepflanzt worden. Nunmehr gerade gross genug, um einer Sitzbank den nötigen Schatten zu spenden. Wer den Weg hierher findet, einen Moment bleibt und sich einlässt auf das kleine Bauwerk und seine Umgebung, kann durchaus einen Ort entdecken, an dem sich Himmel und Erde in besonderer Weise berühren und der sich letztlich ganz zu Recht auf einer Liste wiederfindet, deren Kriterium spirituelle Energie und Ausstrahlung ist.

St. Urbain bei Cressier

Webseite des Freiburger Tourismusverbands

Anreise Mit dem Zug: S5 von Bern nach Murten. Weiter mit der S20 in Richtung Freiburg. An der zweiten Station, in Cressier, aussteigen. Vom Bahnhof aus hält man sich in Richtung Pfarrkirche und westlicher Ortsausgang. St. Urbain erreicht man in einem circa halbstündigen Spaziergang.

Mit dem Auto: Verschiedene Wege führen ins Freiburgische. Bequem via Autobahn nach Murten, dort Richtung Freiburg/Düdingen und schliesslich bis Cressier fahren. Bei der Pfarrkirche in Cressier rechts die leicht ansteigende Nebenstrasse bis zur Hochebene Bouley einschlagen.