Bischof Joseph Bonnemain hält nationale Massnahmen im Kampf gegen Missbrauch für sinnvoll. Foto: Moritz Hager
Bischof Bonnemain hofft auf nationales Kirchengericht noch dieses Jahr
Bischof Joseph Bonnemain betont die Wichtigkeit nationaler Massnahmen im Kampf gegen sexuellen und spirituellen Missbrauch. Der Ressortverantwortliche für dieses Thema hofft, dass Rom noch dieses Jahr grünes Licht gibt für ein nationales Kirchen-Straf- und Disziplinargericht
Annalena Müller/ Sylvia Stam
«pfarrblatt»: Seit den Nuller Jahren haben Bistümer verschiedene Massnahmen im Kampf gegen Missbrauch aufgelegt. Diese haben aber oftmals nicht funktioniert. Welche Vorteile haben nationale Massnahmen gegenüber diözesanen Regelungen?
Bischof Joseph Bonnemain: Betroffene wünschen sich schon sehr lange eine von der Kirche völlig unabhängige Anlaufstelle, wo sie Begleitung, Beratung und Unterstützung erfahren, und zwar psychologisch, juristisch und finanziell. Meldung und Beratung müssen getrennt sein, damit die Beratung unabhängig von den Folgen und von der Institution Kirche stattfinden kann. Inzwischen gibt es eine Vereinbarung mit der Konferenz der kantonalen Sozialdirektor:innen: Seit 1. Januar nehmen die staatlichen Opferhilfestellen der Kantone diese Aufgabe wahr, und zwar einheitlich für die ganze Schweiz. Das ist ein Meilenstein in der Unterstützung von Betroffenen.
Die unabhängige Opferberatung ist eine von mehreren nationalen Massnahmen. Nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie hat man sich entschieden, nicht mehr auf diözesane Massnahmen zu setzen, sondern auf nationale. Allgemein: Was sind Vorteile von einem solchen Ansatz?
Joseph Bonnemain: Die Schweiz ist vielseitig und jede Diözese hat ihr eigenes Vorgehen. Dennoch ist es wichtig, dass es Massnahmen gibt, die für die ganze Schweiz gelten. Nehmen wir die zweitwichtigste Massnahme: die Assessments für alle, die eine Ausbildung als Seelsorger:in beginnen. Natürlich haben Studierende und Seminaristen der Bistümer auch bisher schon psychologische Tests gemacht, aber jetzt können wir garantieren, dass diese tiefgründig und professionell durchgeführt werden, und zwar verbindlich für die ganze Schweiz.
Gibt es Gespräche unter den Bischöfen, weitere Synergien zu schaffen und die Bischofskonferenz als nationalen Dachverband zu stärken und ihr mehr Handlungsspielraum bei Massnahmen zu geben?
Joseph Bonnemain: Dazu gibt es nicht bloss Gespräche. Wir haben in den letzten Monaten eine nationale Dienststelle Missbrauch im kirchlichen Kontext errichtet, die Bischofskonferenz zusammen mit den Dachverbänden der Landeskirchen (RKZ) und der Ordensgemeinschaften (KOVOS). Wir haben eine Arbeitsgruppe gegründet, die diese Dienststelle ins Leben gerufen hat. Diese Dienststelle ist zuständig für die ganze Missbrauchs-Thematik. Das bisherige Fachgremium sexuelle Übergriffe im kirchlichen Kontext ist dieser Stelle angegliedert.
Neben sexuellem Missbrauch ist auch spiritueller Missbrauch ein Thema. Nach dem Bistum St. Gallen wird nun auch Basel eine eigene Stelle dafür einrichten. Wird das Thema auch national angegangen? Oder wiederholt man hier Fehler der Vergangenheit?
Joseph Bonnemain: Ich würde nicht von Fehlern sprechen, es ist viel guter Wille vorhanden in allen Diözesen. Aber es ist gut, dass wir das koordinieren und harmonisieren. Die Frage des spirituellen Missbrauchs steht noch sehr am Anfang. Seit einigen Wochen gibt es in Rom eine Kommission, die versucht festzulegen, was spiritueller Missbrauch ist, wie man das angehen kann und welche Massnahmen, auch Strafmassnahmen, getroffen werden müssen. Im Rahmen der Dienststelle werden wir sicher auch dieses Thema angehen.
Die nationale Dienststelle ist seit 1. Januar komplett. Sie besteht aus Stephan Loppacher, Annegret Schär und Mari Carmen Avila. Was genau sind deren Aufgaben?
Joseph Bonnemain: Sie sind verantwortlich für die Umsetzung und Weiterführung von all den Massnahmen, die wir getroffen haben. Dann geht es um die Weiterentwicklung der Thematik in den Bereichen Prävention und Intervention. Ein Auftrag wird sein, ein Interventionskonzept zu erstellen für alle Fälle von Betroffenen, die eine Meldung machen, nachdem sie sich haben beraten lassen. Wie soll eine professionelle Intervention aussehen? Dazu wird die Dienststelle einen Entwurf machen, den die Arbeitsgruppe genehmigen und verabschieden kann.
Die Schweiz soll ein nationales Kirchen-Straf- und Disziplinargericht bekommen. Der Entwurf liegt vor. Im März stimmt die SBK darüber ab und danach gehen die Statuten nach Rom zur Signatur und zum Papst. Wann erwarten Sie grob, dass es mit der Umsetzung in der Schweiz losgehen kann?
Joseph Bonnemain: Meiner Erfahrung nach braucht das höchste Gericht in Rom, die apostolische Signatur, einige Monate Zeit, um solche Dinge zu verabschieden. Dieses Gremium tagt nicht so oft. Aber ich hoffe sehr, dass es im Verlaufe des Jahres soweit ist. Ich hoffe, dass wir das im März in der SBK verabschieden können. Wenn ich nach ein paar Monaten nichts höre, fahre ich nach Rom, um mich zu erkundigen.
Das französische Modell dürfte als Vorlage für das Schweizer Modell gedient haben. Aber an dem französischen Gericht gibt es Kritik: Es kann keine Missbrauchsfälle behandeln, die Minderjährige betreffen. Frankreich hat hier kein Partikularrecht in Rom erwirkt. Auch die Schweiz scheint das nicht zu planen. Ist dafür einfach die Zeit zu kurz?
Joseph Bonnemain: Wenn ich richtig informiert bin, ist es in den Statuten des Nationalgerichtes in Frankreich tatsächlich nicht vorgesehen, dass die Fälle von Minderjährigen pauschal vor diesem Gericht behandelt werden. Aber das Dikasterium für die Glaubenslehre erteilt ihnen oft die Zuständigkeit, auch solche Fälle zu behandeln. Auch die SBK hat in den Statuten dieses kirchlichen Strafgerichts eingebaut, dass das römische Dikasterium diesem Gericht in einzelnen Fällen die Zuständigkeit gewährt. Ich hoffe, dass das approbiert wird.
Gibt es Pläne, zusätzlich zum Nationalen Gericht in Rom ein Partikularrecht zu beantragen? Dieser Vorschlag geht auf Nicolas Betticher zurück. Dem kirchlichen Gericht in der Schweiz würde demnach die Zuständigkeit von Rom gegeben, auch Fälle von Minderjährigen zu behandeln. Man müsste dann nicht jeweils auf den Auftrag aus Rom warten.
Joseph Bonnemain: Ich halte es für klug, zuerst die Möglichkeit einzubauen, dass das Dikasterium uns solche Fälle zuweisen kann. Wenn die Erfahrung gut ist und das oberste Gericht in Rom merkt, dass wir professionell arbeiten, ist es vielleicht leichter, dieses Partikularrecht zu beantragen.