Informierten bereits im Mai 2024 über den Stand der Massnahmen: RKZ, SBK, KOVOS. Foto: Jacqueline Straub.
Stand der Massnahmen: Kirche Schweiz informiert
Im September 2023 kündigten die kirchlichen Dachverbände SBK, KOVOS und RKZ nationale Massnahmen gegen sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung an. Am 29. Januar 2025 informierten die Verbände in einer gemeinsamen Mitteilung über den Stand der Arbeiten.
Annalena Müller
Die Pilotstudie zum Missbrauch im kirchlichen Kontext stellte der Schweizer Kirche ein verheerendes Zeugnis aus. Die Forschenden wiesen über 1000 Übergriffe seit dem Jahr 1950 nach – sowie die systematische Vertuschung durch die Verantwortlichen. Die Ergebnisse seien «nur die Spitze des Eisbergs», so der Historiker Lucas Federer bei der Pressekonferenz am 12. September 2023.
Erstmals nationale Massnahmen
Die Schweizer Kirche reagierte. Die nationalen Dachverbände - die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Ordensgemeinschaften (KOVOS) und die staatskirchenrechtlichen Römisch-katholischen Zentralkonferenz (RKZ) - kündigten fünf Massnahmen an, die den Kampf gegen sexuellen Missbrauch künftig effektiver machen sollen.
Das Besondere: Die angekündigten Massnahmen sind nicht auf Ebene der jeweiligen Bistümer, sondern auf nationaler Ebene angesiedelt. Und sie werden von SBK, KOVOS und RKZ gemeinschaftlich getragen.
Massnahmen
Die angekündigten Massnahmen umfassten unter anderem:
- Professionelle Opferberatung mit nationalen Melde- und Bearbeitungsstrukturen
- Einführung psychologischer Tests für Personen, die in den kirchlichen Dienst (Priester und Seelsorgende) eintreten
- Einheitliche Standards in der Führung von Personaldossiers, einschliesslich eines besseren Austauschs zwischen den zuständigen Stellen
- Schaffung eines nationalen kirchlichen Straf- und Disziplinargericht.
Das Vorhaben, alle Massnahmen bis Anfang 2025 umzusetzen, erwies sich zwar schnell als unrealistisch. Aber die Kirche gibt sich beim Stand der Arbeiten transparent und informiert die Öffentlichkeit in regelmässigen Zwischenberichten. Das Communiqué vom 29. Januar ist der zweite Zwischenbericht nach dem «Werkstattgespräch» vom 27. Mai 2024.
Das «pfarrblatt» hat die wichtigsten Punkte des Communiqués zusammengefasst und ordnet sie ein.
Professionelle Beratungs- und Meldestellen
Der Kampf gegen Missbrauch in der Schweizer Kirche begann nicht mit der Veröffentlichung der Studie im September 2023. Seit den Nuller-Jahren haben die Bistümer eigene Anlaufstellen für Betroffene von sexuellem Missbrauch geschaffen. Diözesane Fachgremien wurden eingerichtet, um Beratungs- und Meldestrukturen auf Bistumsebene zu etablieren.
Die Studie zeigte jedoch, dass diese Strukturen nicht flächendeckend funktionierten. Die diözesanen Gremien konnten keine professionelle Begleitung von Missbrauchsbetroffenen gewährleisten. Zudem waren sie kirchennah organisiert und personell besetzt, was die Aufarbeitung und Verhinderung von Vertuschung erschwerte.
Seit Januar 2025 arbeitet die Kirche mit den kantonalen Opferberatungsstellen zusammen. Damit sind die Anlaufstellen nicht mehr in den Kirchenstrukturen selbst angesiedelt. Dieser Schritt war bereits im Zwischenbericht im Mai angekündigt worden. Das aktuelle Communiqué liefert zusätzliche Details.
Die Kirche beteiligt sich an den Zusatzkosten der staatlichen Stellen mit einer Fallpauschale. Ausserdem wurde eine kirchliche Informationsstelle für das spezifische Wissen über kirchliche Strukturen eingerichtet. Für die deutschsprachige Schweiz ist Angelica Venzin zuständig, die bisher Präsidentin des Diözesanen Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» im Bistum Chur war. Für die französisch- und italienischsprachige Schweiz ist Béatrice Vaucher verantwortlich, die langjährige Delegierte des Bischofs von Lausanne, Genf und Freiburg im Kanton Waadt war.
Psychologische Tests für kirchliche Mitarbeitende
Bereits seit Mai bekannt: «Sämtliche Priesteramtskandidaten sowie Personen, die eine Ausbildung als Seelsorgerin oder Seelsorger absolvieren oder erstmals eine Stelle antreten», werden einheitlichen psychologischen Tests unterzogen. Ziel ist es, «bestimmte Risiken frühzeitig zu identifizieren und geeignete Vorkehrungen zu treffen.» Neu gibt es ein Datum: Diese Massnahme soll im Sommer 2025 in Kraft traten.
Welche Vorkehrungen das sind und ob auffällige Personen vom pastoralen Dienst ausgeschlossen werden, bleibt offen. Stefan Loppacher betonte jedoch: «Wenn die forensischen Fachpsycholog:innen feststellen, dass jemand aufgrund der Persönlichkeitsstruktur eindeutige Risiken aufweist, dann sollen alle kirchlichen Entscheidungsträger das sehr ernst nehmen und von einer Aufnahme in den kirchlichen Dienst absehen.»
Offen ist aktuell, ob eine allfällige Ablehnung in einem Personaldossier festgehalten wird. Und ob dieses mit anderen Bistümern geteilt würde, wo sich ein abgewiesener Kandidat um Aufnahme bewerben könnte. In der Vergangenheit war dies ein Problem, beispielsweise unter dem früheren Bischof Wolfgang Haas. Dieser hat als Bischof von Chur und später Vaduz auch Männer geweiht, die anderenorts abgelehnt worden waren.
Wenig Neues bei Standards Personaldossiers
Das Communiqué vermeldet wenig Neues seit dem letzten Update. Das auf HR-Fragen spezialisierte Unternehmen von Rundstedt hat einen Leitfaden entwickelt, der Standards zur Führung, Archivierung und Weitergabe von Personaldossiers formuliert.
Die grosse Frage bleibt, wie man Bistümer und staatskirchenrechtliche Körperschaften davon überzeugen kann, die einheitlichen Standards umzusetzen. Denn die nationalen Dachverbände haben keine Weisungsbefugnis. Die Umsetzung liegt letztlich bei den Bistümern, Landeskirchen und Kirchgemeinden.
«Blackbox Bistumsgrenze»
Ebenfalls ungeklärt ist die Frage, wie der Informationsaustausch über Kantons-, Bistums- und Landesgrenzen hinweg umgesetzt werden kann. Wie problematisch dieser Austausch gerade bei Problemfällen ist, hat ein aktuelles Beispiel aus dem Kanton Aargau gezeigt.
Dort wurde ein Priester wegen Körperverletzung verurteilt und vom Bistum 2022 aus dem Dienst entlassen. Bereits Anfang 2023 konnte er eine Stelle im Bistum Chur antreten, wo er heute noch tätig ist. Die Kommunikation zwischen Bistum Basel, dem Ordensoberen des Paters in Freiburg und dem Bistum Chur hatte nicht funktioniert. Der Fall wurde von der «Aargauer Zeitung» im Dezember 2024 aufgedeckt.
RKZ-Generalsekretär Urs Brosi zeigte gegenüber dem «pfarrblatt» Möglichkeiten auf, um solche «Funklöcher» künftig zu schliessen. Ob diese Ansätze jedoch bei den Bistümern und Kirchgemeinden auf Zustimmung stossen, bleibt fraglich. Derzeit deutet wenig darauf hin.
Kirchliches Straf- und Disziplinargericht
Für Beobachtende überraschend, kündigte der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain 2023 die Schaffung eines nationalen kirchlichen Straf- und Disziplinargerichts an. Dieses soll zusätzlich zu den zivilen Strafgesetzen existieren, die, so betont die Medienmitteilung – «bei allen Fällen von Missbrauch oder anderen Straftaten im kirchlichen Umfeld Vorrang» haben.
Bisher entscheidet jedes Bistum, ob eine Untersuchung eröffnet wird. Dies führt zu potenziellen Interessenkonflikten, da das kirchliche Gerichtspersonal oft vom Bischof als Arbeitgeber abhängig ist. Ein nationales Gericht soll diese Interessenkonflikte vermeiden.
Dafür hat eine Gruppe von Expert:innen ein Statut ausgearbeitet, das der Vollversammlung der Bischöfe im kommenden März zur Abstimmung vorgelegt wird. Die Arbeitsgruppe setzte sich unter anderem aus Brigitte Tag und Pierre Cornu zusammen, die Bischof Joseph Maria Bonnemain bereits 2023 bei der kanonischen Voruntersuchung gegen einige Schweizer Bischöfe unterstützten, sowie den Kirchenrechtlern Urs Brosi und Stefan Loppacher. Details zu den Zuständigkeiten des Gerichts wurden heute nicht bekannt gegeben.