
Personalakten kirchlicher Mitarbeitender dürfen künfitg nicht mehr vernichtet werden. (Symbolbild: Archiv). Foto: Annalena Müller
Ende der Willkür: Rom billigt Schweizer Sonderweg bei Missbrauchsbekämpfung
Seit 2023 müssen kirchliche Personalakten in der Schweiz aufbewahrt werden. Nun hat Rom dieser Praxis offiziell zugestimmt. Auch die letzte Landeskirche hat ihren Widerstand aufgegeben.
Annalena Müller
Die Schweiz ist nicht länger «hors règle». Wie das Newsportal «katholisch.de» diese Woche berichtete, hat der Vatikan dem Schweizer Sonderweg im Umgang mit Personalakten grünes Licht gegeben. Diese müssen – entgegen den Vorgaben des Kirchenrechts – nicht mehr nach zehn Jahren vernichtet werden. Mit diesem Schritt will die Schweizer Kirche der Vertuschung von Missbrauchsfällen vorbeugen.
Selbstverpflichtung und Bruch mit dem Kirchenrecht
Zur Erinnerung: Laut Kirchenrecht (can. 489 § 2 CIC) müssen Personalakten nach zehn Jahren oder nach dem Tod der betroffenen Person vernichtet werden. Diese Praxis wurde in der Vergangenheit immer wieder kritisiert – auch in der Schweizer Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch im kirchlichen Umfeld (2023):
«Die bis heute gültigen Bestimmungen zur Aktenvernichtung behindern nicht nur die Forschung (weil damit das Verschwinden von Akten legitimiert werden kann), sondern sie können auch dramatische Auswirkungen auf die Betroffenen haben, die ihre Akten nicht mehr oder nur unvollständig einsehen können.»
Die Schweizer Bischöfe erkannten das Problem im September 2023 an. Damals gab der für das Missbrauchsdossier zuständige Bischof Joseph Maria Bonnemain das Ende der Aktenvernichtung bekannt. In der Schweizer Kirchenzeitung, dem offiziellen Verlautbarungsorgan der Bischöfe, veröffentlichte die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) ein entsprechendes Dekret:
«Damit die Forscherinnen ihre Studie über sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz in den nächsten Jahren weiter vertiefen können, haben alle Mitglieder der SBK eine persönliche Verpflichtung (notabene im Widerspruch zum geltenden Kirchenrecht) unterzeichnet, um sicherzustellen, dass alle Archive unter ihrer Verantwortung, welche Hinweise und Informationen zu Missbrauchsfällen enthalten könnten, weiterhin zugänglich sind und keine Dokumente vernichtet werden.»
Ende der Willkür
Kirchenrechtler:innen kritisierten den Schritt der SBK. So sah etwa der Freiburger Professor Georg Bier ein grundsätzliches Problem darin, wenn die Rechtsanwender – die Bischöfe – selbst entscheiden, ob sie eine Norm als verpflichtend anerkennen oder nicht. «Das ist in diesem Fall gut gemeinte Willkür, aber es bleibt Willkür», sagte Bier im Oktober 2023 gegenüber «katholisch.de».

Auch die Schweizer Bischöfe sahen das so und bemühten sich, den irregulären Status von Rom genehmigen zu lassen. Dies scheint nun erfolgt zu sein. Auf Nachfrage des «pfarrblatt» bestätigte Davide Pesenti, Generalsekretär der SBK, «dass die SBK diese Frage mit dem Apostolischen Stuhl klar geregelt hat.» Die Bitte um Einsicht in das Abkommen lehnte Pesenti jedoch ab:
«Es ist jedoch nicht möglich, ‚Einsicht in das Abkommen‘ bzw. ‚die genauen Parameter‘ zu geben. Da auch der Apostolische Stuhl beteiligt ist, halten die Präsidiumsmitglieder es nicht für angebracht, weitere Informationen zu diesem Thema zu geben, das in die Zuständigkeit des Apostolischen Stuhls fällt.»
Auch alle Landeskirchen an Bord
Im dualen System der Schweiz sind die Bistümer das eine, die Landeskirchen – ihr staatskirchenrechtliches Pendant – das andere. Viele Personaldossiers liegen faktisch bei Letzteren, da die kantonalkirchlichen Körperschaften oftmals die eigentlichen Anstellungsbehörden sind.
Im Mai 2024 hatten laut gemeinsamer Medienmitteilung der SBK, der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und der Konferenz der kantonalen öffentlich-rechtlichen Kirchen (KOVOS) alle kantonalen Landeskirchen – bis auf eine – die Selbstverpflichtung unterzeichnet. Die Landeskirche Basel-Landschaft hatte im November 2023 datenschutzrechtliche Bedenken bei der RKZ angemeldet und die Unterzeichnung zunächst verweigert.
Auf Nachfrage des» pfarrblatt» informierte die Kommunikationsverantwortliche Susanne Salvi, dass der Landeskirchenrat die Selbstverpflichtung inzwischen ebenfalls unterzeichnet habe. Unklar bleibt der genaue Status der Ordensgemeinschaften – dazu liegen keine aktuellen Informationen vor.