
Daniel Kosch. Foto. zVg
Fünf Jahre Synodaler Weg: Daniel Kosch zieht Bilanz
Der frühere RKZ-Generalsekretär beobachtet den synodalen Prozess seit Anfang an. Fünf Jahre später zieht Daniel Kosch Bilanz.
Daniel Kosch*
Vor ziemlich genau fünf Jahren, vom 30. Januar bis am 1. Februar 2020, nahm ich als Schweizer Beobachter an der ersten Synodalversammlung des von der der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gemeinsam beschlossenen «Synodalen Weges» teil. Die Spannung war gross, vieles noch ungewohnt und unklar. Aber es war deutlich: Es geht um viel.
Erschüttert vom Missbrauchsskandal
Erschüttert und tief beschämt durch den Skandal des Missbrauchs und seiner Vertuschung hatten die Bischöfe und die Laienvertretung beschlossen, sich mit dessen systemischen Ursachen zu befassen und sich auf einen Prozess einzulassen, der «synodal» genannt wurde, weil es um ein gemeinsames, partizipatives Vorhaben geht, und weil es um die Frage geht, was Gott und die Menschen von der katholischen Kirche in Deutschland zu Beginn des dritten Jahrtausends und in einer Situation der Krise erwarten.

Gemeinsame Arbeit an zentralen Themen
Die Teilnehmenden waren sich der Tatsache bewusst, dass die «Schlüssel» zu notwendigen Reformen nur teilweise bei der Deutschen Bischofskonferenz und den einzelnen Bischöfen, aber in entscheidenden Fragen in Rom liegen. Dennoch waren sie bereit, sich auf oberster Ebene offiziell und öffentlich mit den vier brisanten Themen Macht und Machtteilung, Priesterbild, Sexualmoral und Stellung der Frauen in der Kirche zu befassen.
Aus dem Prozess sollte weder ein blosser Gesprächsprozess, noch ein zusätzlicher Kommissionsbericht, noch ein weiteres theologisches Gutachten entstehen. Vielmehr sollten auf nationaler Leitungsebene Positionen geklärt und notwendige Reformen auf allen Ebenen (Kirche vor Ort, Bistum, Bischofskonferenz, Weltkirche) empfohlen und angestossen werden. Allein das implizite Bekenntnis, dass in diesen Fragen Reformen notwendig und möglich sind, zeugte von Glaubensmut und Vertrauen, dass Gottes Geist in der Kirche auch heute am Werk ist.
Bei der Bearbeitung der Themen stellten die Verantwortlichen für die katholische Kirche in Deutschland Fragen, welche die Kirchenverfassung betreffen. Angestrebt wurde weit mehr als die Optimierung von Vorgehensweisen in der Missbrauchsbekämpfung oder eine gewisse Verlagerung von Beteiligungsmöglichkeiten zu Frauen und Nicht-Geweihten.

Zwischenbilanz: nach fünf Jahren noch am Anfang
Fünf Jahre später muss konstatiert werden, dass man bei der Umsetzung der Reformvorhaben vielfach noch am Anfang steht. Zudem hat der «Synodale Weg» zu Spannungen mit Rom geführt, tiefgreifende Differenzen innerhalb des deutschen Episkopats offengelegt und vielleicht sogar verstärkt.
Weiter steht die Kirche in Deutschland vor der Aufgabe, nach dem Abschluss der Weltsynode 2021-2024 die beiden synodalen Prozesse zusammen weiterzuführen. Das ist nicht zuletzt deshalb anspruchsvoll, weil die Weltsynode wichtige Grundsatzfragen vertagt und sich – im Gegensatz zum «Synodalen Prozess» - nicht auf eine Verfassungsdebatte eingelassen hat.
Bezüglich der im Missbrauchskontext, aber auch für das Synodalitätsverständnis zentrale Frage nach der Teilung, Kontrolle und Beschränkung von Macht soll sich nach Willen Roms nichts Grundlegendes ändern. Auch bleibt die Frage, «ob Laiinnen und Laien in die Kirchenleitung eingebunden oder aber von ihr ausgeschlossen werden, […] von Akten klerikaler, durch Weihe bevollmächtigter Gewalt abhängig» (Georg Essen).

Enttäuschung für viele
Die Weltsynode hat damit in diesen für die Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Anschlussfähigkeit der Kirche zentralen Fragen keine neuen Perspektiven eröffnet. Und sie hat die Hoffnungen vieler kirchlich Engagierter und wohl auch etlicher Bischöfe auf tiefgreifende Reformen enttäuscht. Das ist keine Überraschung, sondern Ausdruck der Tatsache, dass derzeit weder der Papst noch der Weltepiskopat zu einem entsprechenden Paradigmenwechsel bereit sind.
Diese Scheu vor mutigen und weitreichenden Schritten erschwert die Aufgabe, in Zeiten massiver politischer Verwerfungen und wachsender Instabilität der Weltlage, hoffnungsvolle Zukunftsperspektiven zu entwerfen. Hinzu kommt die durch personelle und finanzielle Rückgänge zunehmend angespannte Lage.
Eine wichtige Grundlage für den weiteren Weg
Dennoch ist der Synodale Weg meines Erachtens ein Meilenstein und eine wichtige Grundlage für den weiteren Weg.
- Erstens, weil er das synodale Miteinander auf oberster Ebene und in aller Öffentlichkeit erprobt hat.
- Zweitens weil die mit deutlichen Mehrheiten verabschiedeten Grund- und Handlungstexte den Mut der Verantwortlichen belegen, sich der Systemkrise der katholischen Kirche zu stellen.
- Drittens, weil die Weltsynode bezüglich konkreter Schritte hin zu mehr Synodalität, Partizipation und Transparenz viele Anliegen des Synodalen Weg aufgenommen hat.
- Und viertens, weil sowohl der Prozess selbst als auch dessen Ergebnisse ein Bekenntnis zur Möglichkeit tiefgreifender Reformen sind, welche es dringend braucht, damit die Kirche in unserer Zeit und in unserem Kontext das Evangelium in den eigenen Strukturen verkörpern und demzufolge glaubwürdig bezeugen und verkündigen kann.

Ekklesiale Versammlungen als Katalysatoren für ausstehende Reformen
Aus meiner Sicht ist es sehr hilfreich, dass die Weltsynode die Einrichtung von «ekklesialen Versammlungen» auf regionaler, nationaler und kontinentaler Ebene empfiehlt, «die die Vielfalt des Gottesvolkes (einschliesslich der Bischöfe) zum Ausdruck bringen und repräsentieren». Zudem sollen Voraussetzungen für «eine ‘heilsame Dezentralisierung’ (EG 16) und eine wirksame Inkulturation des Glaubens» geschaffen werden (Schlussdokument, Nr. 128f.). Damit können – wie neben dem «Synodalen Weg» in Deutschland auch die Entwicklungen in Lateinamerika und Amazonien zeigen – synodale Strukturen entstehen, die auf Leitungsebene, mit dem notwendigen Gewicht und auf entsprechendem theologischem Niveau Grundfragen des Glaubens und Kircheseins bearbeiten.
Auch wenn die Schlüssel für wichtige Entscheidungen jedenfalls auf absehbare Zeit noch im Rom bleiben, trägt die Arbeit an und in solchen Strukturen dazu bei, dass das Volk Gottes, die Seelsorgenden und die Bischöfe gemeinsame Vorstellungen von dem entwickeln, «was Gott sich von der Kirche im 3. Jahrtausend erwartet» (Papst Franziskus).
Dieser Text erschien zuerst auf katholisch.de
*Daniel Kosch war von 2001 bis 2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz und von 2020 bis 2023 Schweizer Beobachter beim Synodalen Weg. 2024 publizierte er das Buch «Synodal und demokratisch. Katholische Kirchenreform in schweizerischen Kirchenstrukturen» (Edition Exodus, Luzern).