Klaus Appel (†2017) verliess Deutschland mit dem letzten Kindertransport. Seine Eltern starben in Auschwitz. Foto: Christoph Knoch

Holocaust-Gedenken in Bern: «Sei tolerant und vergiss nicht deine Vergangenheit»

Am 80. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung gedachten Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft im Berner Rathaus der Opfer der Shoah. KI und Deep-Fakes stellen die Erinnerungskultur vor neue Herausforderungen. Katholische Würdenträger waren keine da.

 

Annalena Müller

Im politischen Herzen des Kantons, im Grossratsaal des Berner Rathauses, versammelten sich am Abend des 27. Januar knapp 300 Personen aus Politik und Religion, um der Millionen Opfer der Shoah zu gedenken.

«Never again is now»


Je weiter die Shoah in die Geschichte zurückrückt, desto wichtiger wird die Erinnerungsarbeit. Nur wer die Schrecken des Holocaust kennt, kann eine Wiederholung verhindern. Die israelische Botschafterin Ifat Reshef mahnte: «Never again is now». Die Rede wurde krankheitsbedingt von ihrem Stellvertreter verlesen.

 

In diesem Jahr hat das Vereinigte Königreich den Vorsitz der International Holocaust Remembrance Alliance (Internationale Holocaust-Erinnerungs-Allianz) inne. James Squire, der amtierende britische Botschafter, hob ebenfalls die zentrale Rolle einer lebendigen Erinnerungskultur hervor.

Erinnern im Zeitalter der Desinformation


Squire warnte jedoch auch vor den Risiken gezielter Desinformation, die durch «Deep-Fake-Technologie» vor allem junge Menschen über soziale Medien erreicht. Er betonte die Notwendigkeit von Technologien, die Deep Fakes als solche entlarven und in sozialen Netzwerken kennzeichnen.

 

Ob Squire Regierungen oder Social-Media-Unternehmen für diese Aufgabe in der Verantwortung sieht, liess er offen. Doch seine Worte erhalten zusätzliche Dringlichkeit angesichts jüngster Entwicklungen: Facebook und Instagram haben angekündigt, ihre Fact-Checking-Programme einzustellen, und der «Pate der alternativen Fakten» ist ins Weisse Haus zurückgekehrt.

Es liegt an uns, das Wissen zu sichern


Auch Nationalratspräsidentin Maja Riniker (FDP) stellte das Thema Falschinformationen ins Zentrum ihrer Rede. Eine Studie habe kürzlich gezeigt, dass Holocaust-Leugnung 17 Prozent der Inhalte auf TikTok ausmache, die sich mit der Shoah befassen; auf X seien es 19 Prozent und auf Telegram sogar 50 Prozent.

 

«Bald wird es keine Holocaust-Überlebenden mehr geben. Es liegt also an uns, das Wissen um den Holocaust weiterzugeben und sicherzustellen, dass dieses Wissen nicht durch Fake News verleugnet wird», appellierte Riniker.

Überlebende erzählen


Zu den bewegendsten Momenten des Abends gehörten die Aufnahmen von Klaus Appel (†2017), der zusammen mit seiner jüngeren Schwester den Holocaust in England überlebte. Die beiden Kinder konnten Deutschland 1939 mit dem letzten Kindertransport verlassen, während ihre Familie in Auschwitz ermordet wurde.

 

Die Botschaft, die Klaus Appel den Nachgeborenen hinterliess, klingt einfach, ist jedoch in Zeiten von Unsicherheit und Neo-Nationalismus besonders bedeutend: «Sei tolerant und vergiss nicht deine Vergangenheit.»

Auch Joop Caneel überlebte den Krieg als Kind. In den Niederlanden wurde er von einer christlichen Pflegefamilie versteckt. Noch 80 Jahre später, ein ganzes Menschenleben, übermannen ihn die Emotionen, wenn er über seine Kindheit spricht. Trauma bedeutet, dass die Vergangenheit stets gegenwärtig bleibt.

Geschichte muss erfahrbar bleiben


Heute teilt Caneel seine Geschichte mit Schüler:innen. Die Reaktionen der jungen Menschen berühren ihn immer wieder zutiefst. Rabbiner Jehoschua Ahrens betonte: «Die Shoah zeigt die Abgründe des Menschen. Sie war ein Zivilisationsbruch, den man erinnern muss, um die Mechanismen dahinter zu verstehen und eine Wiederholung zu verhindern.»

Rita Famos, Präsidentin der EKS, äusserte ihre Dankbarkeit für das Engagement von Caneel und der Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, die in Schulen gehen, um ihre Geschichten oder die ihrer Eltern zu teilen. «Der Holocaust ist Teil unserer Geschichte – auch in der Schweiz», sagte die oberste Reformierte gegenüber dem «pfarrblatt». Der Gang in die Schulen ermögliche es, diesen Teil der Geschichte für junge Menschen weiterhin erfahrbar zu machen.