Philipp Haslbauer im Gespräch mit dem KI-Jesus. Foto: Peter Diem, Lukasgesellschaft

Auswertung: Im spirituellen Dialog mit dem KI-Jesus

«Werde ich jemals wahre Liebe finden?» - «Warum ist in Gaza Krieg?» Solche Fragen stellten 900 Personen dem KI-Jesus in Luzern. Die Auswertung der Gespräche zeigt, was die Menschen bewegt.

 

Sylvia Stam

«Jesus, gibt es Gott tatsächlich?» - «Werde ich jemals wahre Liebe finden?» - «Ich möchte Sexualität erleben».  Solche Fragen stellten die Besucher:innen einem KI-Jesus, der vom 23. August bis 20. Oktober in der Peterskapelle Luzern installiert war. In dieser Zeit wurden rund 900 Gespräche geführt, im Schnitt 15 pro Tag, in verschiedenen Sprachen. Das Forschungsteam der Kunstinstallation «Deus in Machina»  hat die Gespräche ausgewertet, dazu 290 Feedback-Fragebögen. Am Mittwoch (27.11.) wurden die ersten Resultate der Öffentlichkeit vorgestellt. 

Die Besucher:innen, die mit dem KI-Jesus sprechen wollten, waren über die anonyme Aufzeichnung und Auswertung der Daten informiert. Die Analyse der transkribierten über 500 deutschsprachigen Gespräche zeigt, dass die meisten Fragen zum Themenbereich «Katholische Kirche» gestellt wurden: «Bist du ein Katholik oder neutral gegen alle Auslegungen deines Lebens?» - «Wieso ist der katholische Glaube in der Schweiz im Niedergang?»

Aljosa Smolic, Professor und Co-Leiter des «Immersive Realities Research Lab» der Hochschule Luzern, erklärt dies einerseits mit dem Raum, in welchem die Gespräche stattfanden: Der KI-Jesus erschien auf einem Bildschirm hinter dem Gitter eines Beichtstuhls in einer katholischen Kirche. «Manche Leute haben wohl auch provokativ kritische Fragen zur katholischen Kirche gestellt in der Hoffnung, eine Bestätigung zu erhalten.»

Angst vor dem Tod und Fragen zum Gaza-Krieg

Die Gespräche zeigen, was heutige Menschen bewegt, bzw. was sie einer Maschine anvertrauen: Sie stellten Fragen zu Liebe und Beziehung («Was können wir tun, um unsere Beziehung zu pflegen?»), sie suchten Rat und Unterstützung («Wie kann ich herausfinden, was meine Aufgabe ist im Leben?») und teilten ihre Sorgen mit («Ich habe Angst vor dem Tod. Was geschieht mit mir nach dem Tod?», «Ich fühle mich oft schuldig, weil…). Sie stellten Fragen zum Krieg in Gaza, nach der Existenz Gottes und drückten ihren Wunsch nach innerem Frieden aus. Manche wollten auch wissen, was sie tun könnten, wenn sie am Glauben zweifelten. 

Der KI-Jesus hatte die Anweisung, wie ein Seelsorger zu handeln. «Du folgst den Bitten der Menschen und gibst ihnen Orientierung und Unterstützung. Passagen aus der Bibel leiten deine Antworten», lauteten die Instruktionen, wie Philipp Haselbauer, Mitglied im Projektteam der Hochschule Luzern, vorstellte. Als Basis diente dem KI-Jesus das Neue Testament. Die Analyse der Antworten zeigte, dass der digitale Seelsorger seht oft über Frieden und christliche Liebe sprach («Die wahre Freude liegt darin anderen zu helfen und Frieden zu verbreiten.»), er ermunterte zum Gebet, berief sich auf die Lehre Jesu («Die Schrift bezeugt, dass wir durch den Glauben an Christus vom Tod zum Leben übergegangen sind») und zitierte offenbar besonders häufig aus den Schriften des Apostels Paulus. 

Eher ältere Katholik:innen

Die Gesprächspartner:innen des KI-Jesus waren gemäss den Fragebögen mehrheitlich über 40, gut ein Fünftel sogar über 60, die meisten katholisch. Allerdings hat laut dem Forschungsteam auch eine kleine Gruppe von atheistischen und nicht-christlichen Gläubigen mit dem künstlichen Jesus gesprochen. Nebst Deutsch wurden die Gespräche auf Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch und viermal sogar auf Chinesisch geführt. Die Mehrheit der Befragten habe das Gespräch als «religiös-spirituell anregend» empfunden. Die Forscher:innen beobachteten ausserdem, dass die Besucher:innen gewisse Konversationsformen einhielten, indem sie etwa den KI-Jesus, der als Avatar auf einem Bildschirm sichtbar war, begrüssten und das Gespräch mit einer Form von Dank beendeten. 

 

Nicht ohne Begleitmassnahmen

Sehr zufrieden zeigte sich Marco Schmid, theologischer Mitarbeiter der Peterskapelle. Das Ziel, Menschen auf niederschwellige Art mit KI in Kontakt zu bringen und sie somit zum Nachdenken über diese neue Technologie anzuregen, sei absolut erreicht. Überrascht seien sie vom grossen, internationalen Medienecho, welches der KI-Jesus ausgelöst habe. Als Theologe, der oft im Kirchenraum anwesend war während der Installation, habe er bei den Besuchenden nicht nur Neugier und Respekt, sondern auch eine Sehnsucht gespürt, «mit Jesus, also mit Gott sprechen zu können und konkrete Antworten zu bekommen.» Die Anonymität der Gespräche habe manchen geholfen. Ein autistischer Mensch habe ihm schriftlich zurückgemeldet, es sei für ihn einfacher, mit einem KI-Jesus zu sprechen als mit einem menschlichen Seelsorger. Entsprechend sieht Schmid durchaus Chancen für den Einsatz von KI in der Seelsorge für Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Dennoch ist er sich der Gefahren und damit auch der ethischen Grenzen eines solchen Projekts bewusst. «Solche Projekte müssen zeitlich begrenzt und begleitet sein», sagt Schmid im anschliessenden Podiumsgespräch. Smolic fügt an: «Man weiss nicht, wie die Maschine reagiert». Um dieser Gefahr zu begegnen, brauche es Massnahmen, damit man reagieren könne. 

Die Forschungsarbeit ist noch nicht zu Ende. Die anderssprachigen Dialoge sollen noch ausgewertet und die Analyse der Antworten des KI-Jesus verfeinert werden.