Franziskus nach seiner Papstwahl auf der Logia (2013).
Konklave: Als aus Jorge Franziskus wurde
In seiner Autobiografie beschreibt Papst Franziskus wie er das Konklave und seine Papstwahl erlebt hat. Wir veröffentlichen den Wahlkrimi in den Worten des Papstes.
«Am gleichen Abend wurde der erste Wahlgang abgehalten, der aber mehr oder weniger nur ein «Auftakt» ist. Da stimmt der eine für seinen Freund oder für jemanden, den er sehr schätzt… Damit wird ein bekannter und etablierter Mechanismus in Gang gesetzt: Wenn es einige starke Kandidaten gibt, geben die noch Unentschiedenen, zu denen ich gehörte, ihre Stimme erst mal den Kandidaten, die garantiert nicht gewählt werden. Das sind sozusagen die «geparkten» Stimmen jener Kardinäle, die erst einmal abwarten, wie sich die Sache entwickelt. Ich wusste zwar, dass ich einige dieser geparkten Stimmen für mich hatte, aber ich wusste auch, dass diese sozusagen auf Abruf standen. Also blieb ich vollkommen gelassen.
«Geparkte Stimmen»
Am nächsten Morgen, am Mittwoch, den 13. März, hatte ich beim zweiten Wahlgang immer noch ein paar dieser «geparkten» Stimmen bekommen. Und beim dritten kamen sogar noch ein paar mehr zusammen. Man sah deutlich, dass die Situation noch im Fluss war. Nichts war entschieden, und daher verwunderte mich auch das nicht besonders. Ich dachte immer noch, es würde alles wie am Schnürchen laufen, sodass ich pünktlich nach Buenos Aires zurückfliegen konnte, um dort Palmsonntag und Ostern zu feiern. Nachdem wir den schwarzen Rauch hatten aufsteigen lassen, wollte ich ins Refektorium zum Essen. Vorher aber suchte ich noch den Erzbischof von Havanna auf, Jaime Lucas Kardinal Ortega. Er hatte mich gebeten, ihm den Text der kurzen Rede vorbeizubringen, die ich vor der Generalkongregation gehalten hatte. Ich hatte keine Niederschrift der Rede bei mir, daher erstellte ich eine kurze Zusammenfassung in vier Punkten. «Vielen Dank», sagte er. «Dann kann ich mir ja ein Andenken an den künftigen Papst mit nach Hause nehmen.» Ich hielt das immer noch für einen Scherz. Ortega fragte mich, ob ich den Text ausarbeiten und verteilen könnte, und ich bejahte das.
papabile
Im Aufzug traf ich einen anderen Kardinal, ebenfalls aus Lateinamerika: «Hast du die Rede schon vorbereitet? Mach das gut, hörst du?» Und ich: «Welche Rede?» «Na die, die du vom Balkon aus halten musst!» Noch ein Scherz? War das Zufall? Vielleicht ja nur sein persönlicher Wunsch…
Einige Kardinäle aus Europa sassen an einem Tisch zusammen, und es gab noch einen freien Platz. Sie riefen mich: «Kommen Sie, Euer Eminenz, setzen Sie sich zu uns.» Und sie stellen mir tausend Fragen jeder Art, über Lateinamerika, über seine Besonderheiten, die Theologie der Befreiung…
Ich kehrte geistig zurück zu jenen schrecklich langen Jahren – zu der permanenten Unterdrückung des Peronismus in den frühen 1960ern; der Entstehung der rechtsextremen Gruppierungen, häufig unter Beteiligung von geflohenen Nazis; der antisemitischen Kampagnen und Gewalttaten im ganzen Land und der Guerilla; der Zeit, als ich Novizenmeister in der Villa Barilari in San Miguel war; ins Jahr 1972, als wir entdeckten, dass ein jesuitischer Student Sprengsätze in seinem Schrank versteckte… es war dies eine lange und dramatische Zeit.
Der Test der Wähler
Aber bei Tisch redeten wir über alles Mögliche. Die Kardinäle stellten mir viele Fragen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, mitten in einer mündlichen Prüfung zu stecken… Und vielleicht stimmte mein Eindruck sogar. Sie nahmen mich unter die Lupe, nur ich merkte es nicht.
Als wir allmählich an ein Ende kamen und uns vom Tisch erhoben, kam ein spanischsprachiger Kardinal auf mich zu: «Euer Eminenz, Euer Eminenz!» Und dann fragte er: «Fehlt Ihnen nicht ein Lungenflügel?» Und ich antwortete: «Nein, man hat mir nur einen Teil des oberen Lungenflügels entfernt, weil ich dort drei Zysten hatte.» «Und wann war das?» Das sei sehr lange her, antwortete ich, nämlich 1957. Da wurde der Mann knallrot im Gesicht und stiess zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: «Immer diese Manöver in letzter Minute!»
Da fing ich langsam an zu begreifen.
Der grosse Tag
Zumindest begriff ich, dass da etwas über mir schweben könnte.
Ich stieg in mein Zimmer hinauf, um Siesta zu halten oder eine pennichella, wie man in Rom sagt. Ich habe gut und friedlich geschlafen. Dann bin ich um halb vier Uhr aufgestanden und fuhr mit dem Bus zur Sixtinischen Kapelle.
Ich war mit unter den Ersten, die eintrafen, und so begann ich ein Gespräch mit Kardinal Ravasi, dem emeritierten Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Kultur, während wir auf die Ankunft der anderen warteten. Unser Gespräch kam auf das Buch Hiob, denn auch ich hatte über die Bücher der Weisheit gelehrt. Kardinal Raviasi ist ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, uns bemerkten wir gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Schliesslich man uns in Haus rufen: «Kommt schon rein, nur ihr fehlt noch.» Dann wurde die Tür hinter uns verschlossen und der vierte Wahlgang begann.
77 Stimmen
Bei der Auszählung liest einer der Wahlhelfer die Namen mit lauter Stimme vor. Um die Stimmenverteilung besser nachvollziehen zu können, bekommt man ein Blatt Papier mit den Namen aller Kardinäle, um darauf die jeweilige Anzahl der Stimmen zu notieren. Dieses Blatt wird später abgegeben. Ob es nun weiss bleibt oder beschriftet ist, es wird auf jeden Fall verbrannt. Diese Blätter und Stimmzettel liefern den Brennstoff für die berühmte Rauchfahne. Aber ich habe dieses Blatt nie ausgefüllt, auch nicht beim letzten Konklave. Ich betete ganz ruhig den Rosenkranz. Die Auszählung ist eigentlich ziemlich langweilig. Sie klingt fast wie ein gregorianischer Choral, nur weniger harmonisch. Dann hörte ich: «Bergoglio. Bergoglio. Bergoglio. Bergoglio…» Kardinal Cláudio Hummes, seines Zeichens Brasilianer und emeritierter Kardinalpräfekt der Kongregation für den Klerus, sass zu meiner Linken und bemerkte: «Keine Sorge, so macht es nun mal der Heilige Geist.»
Ich hatte sage und schreibe 69 Stimmen und langsam dämmerte es mir. Die Mehrheit lag bei 77 von 115 Stimmen – zwei Drittel. Dann erfolgte der fünfte Wahlgang, der zweite an jenem Nachmittag. Aber als man die Stimmzettel auszählte, war da plötzlich einer mehr. Er war offensichtlich bei der Wahl unter einem anderen kleben geblieben. «Was machen wir jetzt?», fragte Giovanni Battista Re, emeritierter Präfekt der Kongregation für die Bischöfe. Wir machen es noch einmal. Obwohl der eine Stimmzettel zuviel keinen Namen trug, musste man alles verbrennen und den Wahlgang wiederholen. Man öffnete die restlichen Stimmzettel und und verbrannte sie, um gleich darauf die Wahl zu wiederholen. Einmal mehr erhoben sich die Teilnehmer am Konklave von ihren Tischen und gaben, jeder einzeln, ihre Stimme ab. Jeder kniete vor dem Altar nieder und erklärte, er haben seine Stimme «demjenigen gegeben, der nach Gottes Willen» gewählt werden müsse. Dann erhob er sich, legte seinen zusammengefalteten Stimmzettel auf den Silberteller, der auf dem Altar stand, um ihn danach in die Urne zu stecken. Dann kehrte er an seinen Platz zurück.
All das einhundertfünfzehn Mal, bis die drei Wahlhelfer, die unter den Wählenden durch das Los bestimmt worden waren, die grosse Urne an sich nahmen und die Stimmzettel zählten, wobei sie jeden Namen einzeln vorlasen.
Als mein Name das siebenundsiebzigste Mal fiel, erhob sich der Applaus, obwohl die Verlesung der Namen noch weiterging. Ich weiss nicht, wie viele Stimmen es zuletzt geworden sind. Ich hörte nicht mehr zu, und im allgemeinen Lärm ging auch die Stimme des Wahlhelfers unter.»
Papst Franziskus: «Hoffe. Die Autobiografie», S. 242-247 (naz)