Sein Vermächtnis: Papst Franziskus veröffentlicht Autobiografie

«Hoffe» ist der Titel von Papst Franziskus’ Memoiren. Ein lesenswertes Buch für Fans und Interessierte. Beim Thema Missbrauchsbekämpfung hingegen vermag der Papst nicht zu überzeugen.


Annalena Müller

In 80 Ländern gleichzeitig erscheinen heute (14.1.) die Memoiren von Papst Franziskus. «Hoffe» ist die erste Autobiografie, die von einem Papst verfasst wurde (unterstützt wurde Franziskus wieder von seinem langjährigen Co-Autor Carlo Musso). Auf knapp 400 Seiten gibt sich Franziskus von einer persönlichen Seite: nahbar, humorvoll und bemüht um sein Vermächtnis als pastoraler Papst in politisch anspruchsvollen Zeiten.

Hoffen in Zeiten der Hoffnungslosigkeit

Der «Papst vom Ende der Welt» hat italienische Wurzeln. Piemontesisch sei die erste Sprache gewesen, die er kennenlernte. Gesprochen hat sie seine Grossmutter, eine prägende Figur im Leben des kleinen Jorge. «Ich habe meine Oma Rosa innig geliebt und wurde auch von ihr geliebt. Für mich war sie die lebendige Verkörperung der Alltagsheiligen.»

Jorge Mario Bergoglio und seine vier Geschwister wachsen als Migranten-Kinder im Stadtteil Flores in Buenos Aires auf. Seine Grosseltern waren mit seinem Vater vor Armut und Krieg aus Europa geflohen. Getrieben von der Hoffnung in den Amerikas ein besseres Leben aufzubauen. 

Papst in Krisenzeiten

Die Parallelen zu heute sind gewollt und Franziskus hat hier besonders seine europäische Leserschaft im Auge, die er in Anbetracht der Abschottung des Kontinents an die Geschichte erinnert. Die Sorge vor Populismus, Nationalismus und dem Dritten Weltkrieg, der laut dem Papst bereits «stückweise» geführt werde, sind Leitmotive der Autobiografie. Die aktuellen politischen Entwicklungen, die Franziskus immer wieder anspricht, sind der Grund, warum er die Veröffentlichung vorgezogen hat. Ursprünglich sollten die Memoiren erst nach seinem Tod erscheinen. 
 


Naturgemäss ist die Papst-Autobiografie keine objektive Abhandlung. Sie ist mindestens so sehr Vermächtnis wie Lebensgeschichte. Lesenswert ist sie trotzdem, bekommt man doch einen Eindruck des Menschen Jorge Bergoglio/Papst Franziskus. Zu monieren, dass dieser vor allem seine positiven Seiten in den Vordergrund stellt, wäre wohlfeil. In diesem Aspekt gleicht «Hoffe» den meisten anderen Politiker-Memoiren.

Kindheit und Jugend

Mit unverhohlener Zärtlichkeit erinnert sich der Pontifex seiner Heimat und seiner Familie. Seine Eltern und Grosseltern sind italienische Wirtschaftsflüchtlinge, denen der Aufstieg in die argentinische Mittelschicht gelingt. Menschlich und mitmenschlich kommt die Familie Bergoglio daher. Der kleine Jorge liebt Superman-Comics, ist ein schlechter Fussballspieler, was seine Begeisterung für den Sport nicht mindert, er prügelt sich, flucht und beschimpft seine Lehrerin. 

Seit seiner Jugend kennt der heutige Papst Phasen der Depression. «Sie hat mich ein Leben lang begleitet, diese Melancholie», schreibt er. Heute weiss er: «Es ist ein Signal, das mir sagt, dass ich achtgeben muss, dass gerade etwas geschieht und dass das Leben von mir eine Antwort verlangt. Ich habe auch gelernt, von dort aus vorwärts zu gehen.» Es sind solche Passagen, jenseits des päpstlichen Vermächtnis, die «Hoffnung» auch für Kirchenferne lesenswert machen. Hier wird der Mensch Jorge spürbar, der auch im Kirchenoberhaupt Franziskus weiter existiert.

Jorge auf dem Weg zu Franziskus

Lange bevor Jorge zu Franziskus wird, erlebt er als Jugendlicher seine Berufung zum Priester. «Tatsache ist, dass ich aus dem Beichtstuhl heraustrat und nicht mehr derselbe Mensch war wie vorher. Und plötzlich wusste ich, dass ich Priester werden würde.» Als seine Mutter von der Berufung des 18-jährigen erfährt, ist sie alles andere als begeistert. Aber Jorge setzt sich durch. 
 


Er tritt ins Jesuitenkolleg ein und steigt schnell auf. Während der Zeit der Militärjunta in Argentinien (1976-83) wird er auch mal zum Fluchthelfer. Diese Passagen dürften sich besonders an die Kritiker in seiner Heimat wenden, die Franziskus Nähe zum Regime vorwerfen.

Ein pastoraler Papst für alle

Für sein katholisches Publikum in Europa wird «Hoffnung» ab Seite 215 wieder interessant. Ab hier erläutert Franziskus sein spirituelles Verständnis und kirchliches Vermächtnis. Er, der pastorale Papst, bekennt sich zum Volksglauben und kritisiert Traditionalismus und Rückwärtsgewandtheit. «Die Liturgie ist kein Selbstzweck, losgelöst von der pastoralen Tätigkeit». Und: «Tradition ist nicht Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers», schreibt der Papst. 

Mit seinen Memoiren möchte Franziskus alle erreichen. Es ist kein intellektuelles Werk, wie ein Benedikt XVI. es wohl verfasst hätte, greifbar nur für wenige. Franziskus versteht sich als Seelsorger, nicht als universitärer Theologe. Er will alle Menschen erreichen. Das spiegelt sich in Ton und Schreibstil, einfach, klar, mal humoristisch, mal nachdenklich. Immer leicht zu folgen – auch bei kirchenpolitisch schwierigen Themen.

Eine Kirche für alle

Er plädiert für die Teilhabe der Frauen und zitiert das Abschlussdokument der Weltsynode vom Oktober 2024: «Es gibt keine Gründe, warum Frauen in der Kirche keine Führungsrolle übernehmen sollten». Gleichzeitig weicht er nicht von der Idee des petrianischen und marianischen Prinzips ab. Mit anderen Worten: Das Priesteramt bleibt männlich, Macht aber kann geteilt werden. Der begnadete Symbolpolitiker Franziskus hat sicher nicht ganz zufällig eine Woche vor Veröffentlichung seins Buchs Simona Brambilla zur ersten Präfektin eines Dikasteriums ernannt. Es untermauert die Aussagen in seinen Memoiren.
 


Franziskus’ Kirche ist ohne Unterschied für alle da. Mit klaren Worten stellt sich der Papst gegen die Verfolgung von Homosexuellen, die noch immer in über 60 Ländern Realität ist. «Homosexualität ist kein Verbrechen, sondern eine Tatsache des Menschseins. Und die Kirche und die Christen können angesichts dieser verbrecherischen Ungerechtigkeit nicht die Augen verschliessen oder sich kleinmütig verhalten.» Und er bekennt sich erneut zu Fiducia supplicans, der Menschen in «irregulären Beziehungen» Zugang zu einem pastoralen Segen gibt.

Eine politische Kirche

Franziskus’ Kirche ist auch eine politische Kirche. Sie mischt sich ein, auch gerade dort, wo es unangenehm wird. Und sie lässt sich nicht vom Scheitern entmutigen. Am 25. Februar 2022, dem Tag nach dem russischen Einmarsch, hat sich Franziskus persönlich in die russische Botschaft begeben. «Ich bat flehentlich um die Einstellung des Bombardements und mahnte zum Dialog. Ich schlug eine Mediation durch den Vatikan vor (…).» 

Die Absage kam kurz darauf von Putins Aussenminister Lawrow. Die Bemühungen des Vatikans durch seine Vertreter vor Ort auf die Konfliktparteien einzuwirken, hätten seither aber nicht abgenommen. Ähnlich äussert sich Franziskus zum Nahostkonflikt. Friede, das Ende der Gewalt und der Leiden der Menschen, müsse das höchste Streben sein, dem der Papst all seine verbleibende Energie widmet.

Hadern mit den eigenen Abgründen

Weniger energisch thematisiert der Papst die Missbrauchskrise der katholischen Kirche. Zwar bekennt sich Franziskus zum Durchgreifen und verweist auf die Laisierung schuldiger Prälaten, die er selbst durchgeführt hat. Aber im nächsten Absatz warnt er auch vor Falschbeschuldigungen, die es auch gebe. 
 


Die (knappen) Seiten, die der Papst dem Thema widmet, sind die am wenigsten überzeugenden. Hier hätte man sich etwas anderes gewünscht, sind doch die zahlreichen Missbrauchsfälle der Grund für den historisch einzigartigen Macht- und Vertrauensverlust der Kirche im letzten Vierteljahrhundert. In «Hoffe» fehlt ein überzeugendes, von Herzen kommendes Plädoyer für den Kampf gegen Missbrauch; ein Plädoyer wie der Papst es für Frieden und Versöhnung an anderer Stelle im Buch überzeugend liefert. Es ist die eine grosse Schwäche der ansonsten durchaus lesenswerten Autobiografie.

Papst Franziskus: «Hoffe. Die Autobiografie», 384 Seiten, erschienen im Penguin-Verlag. CHF 35.90. Erhältlich ab dem 14.1.2025.
 

«Hoffe»

Im Verlauf der nächsten Tage finden Sie auf pfarrblattbern.ch Auszüge aus der Autobiografie des Papstes. 

Themen:

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Konklave: Als aus Jorge Franziskus wurde