Leonardo da Vinci, Anna selbdritt. ca. 1503 –1519, Louvre

Mariä Empfängnis: Ein Fest der Mütter

Das Bild verweist mit verborgener Tiefe auf eine Dreigenerationenfamilie (Grossmutter, Mutter und  Sohn/Enkel, der ein Lamm liebkost) – die ganze zukünftige Geschichte ist darin schon angedeutet.


Sandro Fischli

Dieser Festtag verweist auf die Empfängnis von Maria im Mutterleib von Anna. Er weist im Jahr zurück auf den St. Anna-Tag, wie sich im Kirchenjahr meist alles in einem Wechselspiel aufeinander bezieht. Und so gedenken und feiern wir mit Maria Empfängnis eigentlich auch ihre Mutter. Beziehungsweise Grossmutter, Mutter und Kind – da die meisten unter uns, so auch ich, bei Maria Empfängnis sofort an die Empfängnis ihres Kindes denken, ein Tag, der in der Bibel aber gar nicht speziell erwähnt wird.

Auf Marias Mutter, Jesu Grossmutter, wurde ich erst aufmerksam durch gewisse Gedanken über die unbefleckte Empfängnis, die sich, wie erwähnt, auf Marias Empfängis in Annas Mutterleib bezieht. 

In den Apokryphen, auf die verwiesen wird, weil in den biblischen Texten nichts zu diesem rätselhaften Thema zu finden ist, fand ich nur eine Stelle, dass Maria schon im Mutterleib vom Heiligen Geist erfüllt gewesen sei. Möglicherweise wird darauf Bezug genommen. Die Lektüre ist im wahrsten Sinne des Wortes wunderbar, wird doch in diesem Narrativ explizit die Geschichte von Sarah und Abraham aufgegriffen, ja, nacherzählt! Eine «konzeptuelle Kontinuität». 

Es scheint mir, als ob die Idee der frühen Kirchenväter, frei von Erbsünde, rückwirkend begründet werden musste. Sie hängt ja auch mit Mariae Himmelfahrt zusammen, von der auch nur in den Apokryphen berichtet wird. Die Theologie wurde hier zur Theo-Logik: Maria musste zwingend frei von dieser Erbsünde sein, um einen Gottessohn gebären zu können. Und auch dieser musste anscheinend wiederum irgendwie ausserhalb eines gängigen Verständnisses empfangen werden, auch nirgends biblisch belegt. Mir geht es hier aber mitnichten gegen Wunderglauben. Indem er unser Verständnis übersteigt, sind es mythische Wahrheiten, die ihre existenzielle Bedeutung haben. 

Wie wir sehen, ist das Thema in der Kirchengeschichte umstritten. Eigentlich sollte es dem Glauben keinen Abbruch tun, Bernard von Clairvaux ist bekannt für seine Marienfrömmigkeit und verwarf die Idee der unbefleckten Empfängnis, während der Reformator Luther sie weiter vertrat. Umso schockierender, dass im 1874 verkündeten Dogma festgehalten wird, ein fehlender Glaube daran habe die Exkommunikation zur Folge. Wenn Wunderglauben verordnet wird, ist es keiner mehr.

Sandro Fischli