Blackbox institutionelle Kommubnikation. Wer wusste wann was? Foto: Manuela Matt

Mehr als Boulevard: Was der «Prügel-Pater» über kirchliche Baustellen verrät

Ein Pater soll eine Frau verletzt haben. Im Nachbarbistum findet er eine neue Anstellung. Künftig soll so etwas nicht mehr möglich sein. Auch weil am Ende die Kirchensteuerzahler haften könnten.

 

Annalena Müller

Im Kanton Aargau soll ein Priester 2022 einer Kirchenpflegerin im Streit das Schlüsselbein gebrochen haben. Die «Aargauer Zeitung» berichtete am 6. Dezember über den neu vorliegenden Strafbefehl. Wegen der Vorwürfe war der Priester bereits 2022 vom Bistum Basel entlassen worden. Im Februar 2023 fand er eine neue Anstellung Bistum Chur. Laut Medienmitteilung vom 12. Dezember wusste man dort nichts von der laufenden strafrechtlichen Untersuchung im Nachbarbistum.

Fall verweist auf Strukturproblem

Der Fall ist mehr als ein Boulevard-Skandal. Denn er verweist auf ein strukturelles Problem, mit dem die Kirche seit Jahrzehnten kämpft: Bei Vorwürfen wechselt ein Priester das Bistum. Am neuen Ort weiss niemand etwas, und die Person kann von vorne beginnen oder mit Altem weitermachen. 

Die im September 2023 veröffentlichte «Missbrauchsstudie» zeigte, dass die Praxis des Versetzens im 20. Jahrhundert weiterverbreitet war. Der aktuelle Fall zeigt: Es ist mitnichten ein Problem der Vergangenheit, trotz gegenteiliger Beteuerungen unter anderem aus dem Bistum Basel. Aber der Reihe nach.

 

Die Fakten: Im Frühjahr 2022 beendet die betroffene Pfarrei «die Zusammenarbeit mit Pater XY per sofort» und veröffentlicht diesen Schritt im Pfarrblatt «Horizonte». Der entlassene Pater, ein Dominikanermönch, kehrt daraufhin in sein Kloster in Freiburg i.Ü. zurück. 

Funkloch Bistumsgrenzen

Anfang 2023 tritt der Pater eine Stelle im Kanton Schwyz (Bistum Chur) an. Im Rahmen des Anstellungsverfahren holt das Bistum sowohl einen Strafregisterauszug als auch eine Unbedenklichkeitserklärung vom Provinzial der Schweizer Dominikaner ein. Im Februar 2023 ist dies Guido Vergauwen.

Der Grund für das Einholen der beiden Dokumente: Ein Strafregisterauszug führt nur rechtskräftige Verurteilungen auf. Die zusätzliche Unbedenklichkeitserklärung soll sicherstellen, dass es keine laufenden Untersuchungen gibt. Im Bistum Chur sei dies Standard, bestätigt Sprecherin Nicole Büchel gegenüber dem «pfarrblatt».

 

Vergauwen stellt im Februar 2023 eine solche Unbedenklichkeitserklärung für den Pater aus. Anfang 2024 wird dessen Stelle im Bistum Chur erneuert. Erneut wird eine Unbedenklichkeitserklärung angefordert. Dieses Mal stellt sie Didier Boillat aus, der neue Provinzvikar der Dominikaner. Weder das Bistum Chur, noch die anstellenden Kirchgemeinde und Pfarrei erfahren Anfang 2023 und 2024 von der laufenden Untersuchung gegen den Pater im Aargau.

Wer wusste wann was?

Eine offensichtliche Frage ist, wer wann was wusste und ob dieses Wissen zwischen den entsprechenden Stellen kommuniziert wurde. 

Auf Anfrage des «pfarrblatt» schreibt Bistumssprecherin Barbara Melzl, das Bistum Basel habe den damaligen Provinzial Vergauwen «am 29. März 2022 umgehend informiert» und auch den Grund der Entlassung genannt. Vergauwen hingegen sagt, er sei nicht informiert worden. Auch Didier Boillat schreibt, er habe keine Kenntnis der laufenden Untersuchung gehabt. Der betroffene Pater war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Neben der inhaltlichen stellen sich auch zwei strukturelle Frage: Wie ist es möglich, dass im Dreieck «Solothurn-Freiburg-Chur» zweieinhalb Jahre lang offensichtlich nicht kommuniziert wurde und das Thema erst auf Druck der Medien auf die Tagesordnung kommt? Und: Wie werden Personaldossiers von Kirchenangestellten geführt, dass so ein Vorfall den anstellenden Gemeinden unbekannt bleibt?

Lückenhafte Personaldossiers 

Direkt nach Veröffentlichung der «Missbrauchsstudie» im September 2023 stellten die Dachverbände der Kantonalkirchen (RKZ), der Bistümer (SBK) und der Ordensgemeinschaften (KOVOS) Massnahmen vor, mit denen Missbrauch im kirchlichen Umfeld bekämpft werden soll. Darunter: die Professionalisierung der kirchlichen Personaldossiers.

 

Innerhalb der «Arbeitsgruppe Missbrauch» ist Urs Brosi für den Bereich zuständig. Gegenüber dem «pfarrblatt» zeigt sich der RKZ-Generalsekretär betroffen. «Dass in einem solchen Fall die Kommunikation zwischen Bistümern, Ordensoberen und anstellenden Kirchgemeinden nicht funktioniert, ist problematisch.» Auch zeige es, wie dringend der Leitfaden zur Führung von Personaldossiers gebraucht werde, an dem die «AG Missbrauch» arbeite und der spätestens Mitte 2025 bereit sein soll.

Kirchlicher Wandel ist langsam

Ziel sei ein einheitlicher Standard, die «im Rahmen dessen, was der Datenschutz erlaubt, auch sensible Informationen enthalten sollen, die arbeitsrechtlich relevant sind.» Das wäre im Aargauer Fall gegeben, da der Vorfall zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt habe, so Brosi.

Allgemein müssten die HR-Strukturen auf Seiten der Bistümer, Pfarreien, aber auch der anstellenden Kirchgemeinden und Landeskirche professionalisiert werden. Im dualen System der Schweiz sei vieles eine Frage der Zuständigkeiten. Hier werde aktuell verhandelt. «Es ist ein Konfliktthema, auch gerade im Bistum Basel.» 

Staatshaftung

Der aktuelle Fall zeige, wie wichtig das Thema sei, auch wenn Personaldossiers in der Berichterstattung zum Missbrauchskomplex bisher eher eine Randnotiz waren. Brosi betont, dass die staatskirchenrechtliche Seite nicht die bessere oder professionellere sei. «Es wird auf beiden Seiten einen grundlegenden Kulturwandel brauchen.»

Brosi sieht der Einführung und Umsetzung des Leitfadens grundsätzlich optimistisch entgegen. «In den meisten Kantonen gilt die Staatshaftung auch für Angestellte der kirchlichen Körperschaften. Wenn Mitarbeitende der kantonalen Verwaltung in Ausübung ihrer Funktion Schaden verursachen, dann hafteen der Staat und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften wie eben die Landeskirche und die Kirchgemeinden. Es gibt hier also ein gewisses Eigeninteresse, zu vermeiden, was sich vermeiden lässt», so Brosi.

Während Aargau eine Ausnahme ist, umfasst das Staatshaftungsgesetz im Kanton Schwyz tatsächlich die Kirchen. Wäre die Kirchgemeinde verpflichtet gewesen, eine Referenz aus dem Aargau einzuholen und wäre sie so über das laufende Verfahren informiert worden, hätten Kirchgemeinde und Pfarrei sich die Anstellung des Paters eventuell nochmals überlegt – ganz unabhängig davon, ob Bistümer und Ordensobere sich nun informiert haben oder nicht.

Das Urteil gegen den Pater ist noch nicht rechtskräftig. Es gilt die Unschuldsvermutung.