In der reformierten Kirche Brienz fand die Gedenkfeier statt. Spuren der Naturgewalt sind noch überall im Ort sichtbar.

Nach der Flut

Im August dieses Jahres trat in Brienz der Milibach über die Ufer und zerstörte einen Teil des Friedhofs. Mit einer Feier und einem Besuch auf dem Friedhof erinnerte man am 26. Oktober an dieses Ereignis.

 

Text und Foto: Vera Rüttimann

Am Samstag, 26. Oktober, um 10.00 läuten in Brienz die Glocken. Die reformierte Kirche steht auf einer Anhöhe und ist weithin sichtbar. Über 100 Menschen, junge und alte Leute, begeben sich auf den Weg über die steile Treppe, die hinauf zur Kirche führt. An diesem Samstag findet eine ökumenische Feier anlässlich der Aufhebung der Gräber mit Jahrgang 1999 statt. Die meisten aber sind wohl hier, weil heute auch ein Gedenkgottesdienst für die Angehörigen stattfindet, die ein Grab auf dem Friedhof haben, der durch das Unwetter vom 12. August beschädigt wurde. Pfarrer Hans M. Tontsch, Pfarrer Peter Mainz und Diakon Jure Ljubic, katholische Pfarrei Guthirt-Meiringen, leiten die Feier.

«Wir nehmen heute zum zweiten Mal Abschied»

Chantal Fotsch ist an diesem Tag aus Unterseen nach Brienz gekommen. Die Grabsteine ihrer verstorbenen Grosseltern wurden am 12. August vom reissenden Bach mitgerissen. Sie habe sich sehr gefreut, als die Steine wider Erwarten unter den Bergen von Geröll gefunden wurden. «Wir sind uns bewusst, dass andere dieses Glück nicht hatten, weil viele Grabsteine von der Wucht des Gerölls völlig zertrümmert oder in den See gespült wurden.» Die gebürtige Brienzerin fügt hinzu: «Meine Familie und ich werden heute gemeinsam zum Friedhof gehen. Wir nehmen heute zum zweiten Mal Abschied.»

Fotsch fügt an, «dass diese beiden Steine gefunden wurden, passt gut zu meinen verstorbenen Grosseltern. Gerade meine Grossmutter war ein sehr zäher Mensch. Sogar ihr Grabstein hat alle Stürme überstanden.» Selbst wenn die Grabsteine nicht gefunden worden wären, hätte sie ihren Frieden damit gemacht: «Die beiden sind in meinem Herzen, das ist mir viel wichtiger als ein Grab, das man noch besuchen kann.»

Nach Ende des Gottesdiensts ziehen die Kirchgänger:innen schweigend durchs Dorf. Vorbei an Häusern, deren Fassaden noch immer Spuren des Unwetters zeigen. Vorne gehen die drei Seelsorger, einige Menschen tragen Kerzen in der Hand.

Trost in der Gemeinschaft

Der katholische Seelsorger Jure Ljubic hat die Predigt gehalten. Für ihn war der Anlass berührend. «Wir haben regelmässig Gedenkgottesdienste für Grabaufhebungen. Aber dieser Anlass war besonders, denn wir haben zusätzlich an die vom Unwetter zerstörten Gräbern gedacht.»

Vor dem Anlass hat sich Ljubic viele Gedanken gemacht, wie die Menschen reagieren würden. Das Feedback sei sehr positiv gewesen. «Die Menschen waren sehr dankbar, dass wir das gemacht haben.» Viele haben sich geäussert, dass der Gottesdienst und die anschliessende Besinnung auf dem Friedhof «emotional berührend und tröstlich» gewesen seien.

Nach dem ökumenischen Gottesdienst zogen die über 100 Teilnehmenden von der Kirche zum Friedhof. Nach der Besinnung auf dem Friedhof, wo es auch die Möglichkeit gab, persönlich Abschied zu nehmen, seien viele zum Apéro geblieben. «Es war sehr stimmig. Viele hatten das Bedürfnis, nach der Trauer die Gemeinschaft zu suchen und zu pflegen», so Ljubic.

Für Brienz ist damit ein weiterer Schritt hin zur Normalisierung getan. Der Prozess der Heilung dauere noch an, «aber wir sind auf dem Weg dahin», sagt Ljubic.