Pater John Anderson Vibert (42) weiss um die Bedeutung des Zuhörens. Foto: Theresia Mühlemann
Pater John-Anderson Vibert: Unterwegs dahin, wo er gebraucht wird
Seine pastoralen Aufgaben führten Pater John-Anderson Vibert zu den Vertriebenen an den Grenzen der reichen Welt. Seit 1. -Dezember 2024 ist er Priester der portugiesischsprachigen Mission Bern-Solothurn.
Interview: Theresia Mühlemann*
«pfarrblatt»: Sie sind in Haiti aufgewachsen. Welchen Stellenwert hat Religion in Ihrer Heimat?
John-Anderson Vibert: In Haiti ist der Katholizismus, der Glaube an Gott, ein wesentlicher Aspekt des Alltags. Der Sonntag dient konsequent der Erholung und dem Gebet. Der Kirchenbesuch in schöner Kleidung und das anschliessende Beisammensein sind ein fester Programmpunkt. Religion war ein durchdringender und wichtiger Bestandteil meiner Schulbildung. Und meine Eltern vermittelten mir christliche Werte, wofür ich ihnen sehr dankbar bin.
Hat Sie dieses Aufwachsen als Missionar und Priester geprägt?
John-Anderson Vibert: Meine Berufung ist aus ebendiesem Milieu entstanden. Mein Glaube ist eine Haltung, die sich in allem, was ich tue, zeigen soll. Gerade in Zentralamerika und der Karibik sind die Aspekte der Nächstenliebe, Gemeinschaft und Humanität sehr wichtig. Auch meine Studienjahre haben mich geprägt.
Als junger Priester haben Sie in Kolumbien und Venezuela mit Menschen in grosser Armut gearbeitet. Was hat Sie diese Erfahrung gelehrt?
John-Anderson Vibert: Ich habe gelernt, zuzuhören, zu verstehen, bevor ich handle. Ein Grundsatz, den ich zwar gelernt, aber erst dort richtig verinnerlicht habe. Im Beobachten und Zuhören bekomme ich eine Idee von den Bedürfnissen der Menschen, und dann kann ich ihnen die Hilfe zukommen lassen, die sie brauchen. Bis heute bestimmt dies meine Art, als Priester zu dienen. Das Zuhören ist fundamental.
Zwischen 2012 und 2014 haben Sie Flüchtlinge betreut, die über Süditalien nach Europa gelangen wollten. Was haben Sie dort erlebt?
John-Anderson Vibert: Eine zentrale Aufgabe der Scalabrini-Missionare ist es, Migrant:innen willkommen zu heissen und ihre Rechte zu verteidigen – immer mit dem Ziel, bei einer erfolgreichen Integration zu helfen. Die Situation in den Flüchtlingslagern war schon damals katastrophal. Als Christen und Katholiken fragten wir uns, wie die Geflüchteten, zumeist Muslime, auf unsere Hilfe reagieren würden. Es war jedoch eine sehr schöne Erfahrung. Ich habe die Geflohenen als sehr respektvoll und fleissig erlebt.
Der Alltag in der Schweiz dürfte ein grosser Kontrast zu Ihren früheren Tätigkeiten sein. Wie erleben Sie Ihre neue Aufgabe in Bern?
John-Anderson Vibert: Seit Dezember bin ich als Leiter der portugiesischsprachigen Mission verantwortlich für die Gemeinden Bern, Thun, Interlaken und Gstaad und zusammen mit Pater Pedro Granzotto für die Gemeinden Biel und Solothurn. Ich bin also viel unterwegs, aber es gefällt mir. In Verbindung zu sein mit den Menschen und der Natur, das hat für mich fast etwas Philosophisches.
Was wünschen Sie sich persönlich für die nächsten Jahre?
John-Anderson Vibert: Als Missionar steht für mich die Arbeit für Gott im Zentrum. Als Scalabrini sind wir Migranten für Migrant:innen. Es macht mich glücklich, wenn ich meine Aufgaben erfüllen kann, mit Respekt, im Dialog und im Bewusstsein meiner Mitverantwortung. In einer Mission mit sechs Gemeinden ist die Zusammenarbeit wichtig.
* Theresia Mühlemann ist freie Journalistin
Scalabrini-Missionare
Die Ordensgemeinschaft der Scalabrini geht zurück auf Priester Giovanni Battista Scalabrini (1837– 1905), der sich der Seelsorge von Migrant:innen annahm. ScalabriniMissionare wirken heute überall, wo Migration stattfindet.