Für mehr Ruhe und Sinnlichkeit beim Essen müsste unsere Redaktorin das Handy beim Essen weglegen. Foto: Thomas Villiger

Wer aufs Handy verzichtet, muss klar kommunizieren

Über das Handy treten wir primär mit anderen in Beziehung. Wer seinen Handykonsum reduzieren will, muss darum aktiv kommunizieren, um Beziehungskonflikte zu vermeiden.

 

Sylvia Stam*

«Achtzig Prozent der Handy-Zeit hat mit Beziehungen zu tun», sagt Anna Miller, Expertin für digitale Achtsamkeit und Mitarbeiterin bei der Peterskapelle Luzern, im Workshop «Digitaler Minimalismus». Die Aussage überrascht mich. Doch ein kurzer Check bestätigt: Whatsapp, Signal, Email und Instagram sind tatsächlich jene Apps, die ich am meisten nutze. Um Beziehung, Bindung und Kommunikation geht es denn auch zentral an diesem einstündigen Workshop, den die katholische Kirche Stadt Luzern an einem Mittwochmittag Mitte März im Rahmen der Fastenzeit anbietet.

Handy eine Stunde aus

Was das bedeutet, realisieren die 15 Teilnehmenden gleich zu Beginn, als Anna Miller uns auffordert, das Handy für diese Stunde auszuschalten und wegzulegen. Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, ob meine 85-jährige Mutter mich in dieser Zeit brauchen könnte. Doch da meine beiden Geschwister näher bei ihr wohnen, ist diese Sorge unbegründet. 

Der Akt löst bei den Teilnehmenden Unterschiedliches aus: Erleichterung, das Gefühl, ganz da zu sein, aber auch Unruhe, weil man gerade noch gesehen hat, dass eine Mail hereinkam. 

Wir werden aufgefordert, in einem Moment der Stille unser Handyverhalten zu reflektieren: Was stört mich an meinem eigenen Umgang damit? Welcher Schritt würde daran etwas positiv verändern? Warum will ich mein Verhalten ändern? Und wovon will ich mehr? 

Mehr Ruhe und Sinnlichkeit

Es ist diese letzte Frage, an der ich vor allem hängen bleibe. Es befreit mich, den Blick ins Positive zu wenden, statt mich selbst für meinen übermässigen Handykonsum zu geisseln. Ich finde denn auch sehr schnell Antworten: Ich will mehr Konzentration, mehr Ruhe und mehr Sinnlichkeit, indem ich mich etwa beim Essen mehr auf das konzentriere, was ich zu mir nehme. In Dreiergruppen suchen wir nach ersten Schritten, wie wir uns ein klein wenig aus der Abhängigkeit von diesem Gerät befreien können. 

Proaktiv kommunizieren

«Einen Wecker kaufen, damit ich nicht frühmorgens schon vom Handy aus dem Schlaf gerissen werde», lautet ein simpler, aber vermutlich sehr wirksamer erster Schritt eines Mannes im Studentenalter. «Bei den Apps eine zeitliche Begrenzung einschalten», sagt eine junge Frau. «In meinem Arbeitsumfeld ein Ampelsystem einführen für die Dringlichkeit von Nachrichten», sagt ein Mann mittleren Alters. Und erläutert: Für Dringendes bitte telefonieren, alle anderen Kanäle sind weniger dringend. Er schaut sie zu bestimmten Zeiten an. Anna Miller ergänzt: «Wichtig ist, aktiv zu kommunizieren, dass etwa ein Mail keine hohe Dringlichkeit hat.» 

Kommunikation, so wird in dieser Stunde deutlich, ist zentral, wenn wir anfangen, unser Handyverhalten zu ändern: «Es geht bei der Frage nach digitaler Achtsamkeit sehr stark um Bindung und Beziehung: Was braucht der oder die andere, um beruhigt zu sein, wenn ich nicht sofort reagiere? Und was brauche ich selbst?» 

Hier proaktiv mitzuteilen, zum Beispiel mit einer Abwesenheitsmeldung, wann ich wieder erreichbar bin und was im Notfall zu tun ist, kann beruhigend wirken. «Das vermittelt dem Gegenüber emotionale Sicherheit», sagt Miller. Ebenso könne es den/die Empfänger:in einer Nachricht entlasten, wenn man mitteilt, dass die Antwort nicht eilt. 

Ausser Sichtweite

Das Digitale, erläutert die Expertin und Buchautorin Miller, sei darauf angelegt, Hürden abzubauen: Per Handy eine Pizza zu bestellen und gleich via Twint zu bezahlen sei eine Sache von zwei Minuten. Entsprechend baut man Hürden auf, wenn man etwa zu bestimmten Zeiten nicht per Whatsapp, sondern nur via Telefon erreichbar ist. Miller empfiehlt ausserdem, das Handy zu bestimmten Zeiten ausser Sichtweite zu legen, vielleicht sogar in einen anderen Raum, denn «was du siehst, berührst du!», sagt sie aus Erfahrung.

Nach dem Workshop schalte ich mein Handy wieder ein. Fast ein wenig enttäuscht stelle ich fest, dass mich in dieser Stunde keine einzige Nachricht erreicht hat. Im Büro lege ich mein Handy ausser Sichtweite, installiere eine Timing-App, die mir nach 25 Minuten eine Pause empfiehlt, und schreibe eine Stunde lang fokussiert an diesem Text. 

Buchinweis: Anna Miller: Verbunden. Wie du in digitalen Zeiten wieder Platz schaffst für Dinge, die dir wirklich wichtig sind.
Ullstein 2023.

*Erstpublikation im Kantonalen Pfarreiblatt Luzern